Wilde Chrysantheme
kunstvolles Arrangement über ihren Ohren.
Quentin erhob sich von seinem Stuhl und verbeugte sich mit einem Lächeln. »Die Atmosphäre im Haus hat sich spürbar verändert, meine Liebe, seit Sie hier weilen. Darf ich Ihnen etwas Schinken abschneiden?«
»Danke.« Juliana nahm den Stuhl, den ein aufmerksamer Lakai für sie zurechtrückte. Sie runzelte leicht die Stirn, als sie sich fragte, was er wohl mit »spürbar veränderter Atmosphäre« meinte. Wenn jemand Dinge dieser Art zu ihr sagte, geschah es gewöhnlich, um sie zu tadeln, aber Lord Quentin wirkte ganz und gar nicht vorwurfsvoll. »Darf ich das als Kompliment auffassen, Sir?« fragte sie zögernd.
Quentin lachte. »Oh, ganz eindeutig. Die Atmosphäre hier ist insgesamt unbeschwerter geworden.«
Juliana lächelte breit. »Ich hoffe, Seine Gnaden stimmt mit Ihrer Ansicht überein.«
»Mit welcher Ansicht?« Tarquin betrat den Raum und nahm auf einem Stuhl am Kopfende des Tisches Platz. Nebenbei schaute er auf die
Gazette
neben seinem Teller.
»Lord Quentin war so freundlich, mir zu sagen, daß ich das Haus fröhlicher gemacht habe.« Juliana nahm einen Toast mit Butter und gestand dann offenherzig: »Ich bin es nicht gewöhnt, solche Dinge zu hören. Die meisten Leute sagen mir, ich brächte zuviel Unruhe in ihr Leben.«
Der Herzog schürzte nachdenklich die Lippen. »Vielleicht läuft das für einige Leute auf das gleiche hinaus.«
»Wie ungalant von Ihnen, Mylord!«
»Vermutlich gibt es Menschen, denen es tatsächlich Spaß machen würde, dir um drei Uhr in der Früh durch die ganze Stadt nachzujagen.«
»Oh! Wie können Sie ausgerechnet jetzt davon anfangen!« rief sie, und ihre Augen funkelten vor Empörung. »Das ist wirklich
höchst
unritterlich!«
Tarquin lächelte leicht. »Meine Liebe, wie du einmal so passend meintest: Man erntet, was man gesät hat.« Aber zu Julianas Erleichterung wechselte er nun das Thema, als er sich Quentin zuwandte. »Hast du noch keine Nachricht bekommen, wann du uns wieder verlassen mußt?«
»Nein. Der Erzbischof scheint vollauf damit zufrieden, mich hier in London Däumchen drehen zu lassen, während er über das Ersuchen meines Bischofs nachdenkt.«
»Nun, ich hasse es, dich wieder gehen zu lassen«, erwiderte der Herzog. »Deshalb hoffe ich, daß das Nachdenken noch eine Weile dauern wird.«
Juliana entschuldigte sich bald darauf und überließ die beiden Brüder ihrem Kaffee. Es erschien ratsam zu warten, bis der Herzog das Haus verlassen hatte, um seinen morgendlichen Geschäften nachzugehen, bevor sie ihren nächsten Schritt unternahm; deshalb drückte sie sich im Korridor im ersten Stock herum, während sie auf das Kommen und Gehen in der Halle unten horchte, um etwaige Gefahren zu wittern.
Kurz vor Mittag brach er auf, nachdem er sich zuvor sein Pferd hatte satteln lassen. Juliana rannte in ihr Schlafgemach und beobachtete vom Fenster aus, wie Tarquin auf einem prachtvollen Schecken die Straße hinunterritt. Damit blieb nur noch Quentin übrig. Sie eilte die Treppe hinunter und bat Catlett, ihr eine Mietsänfte herbeizurufen.
»Mylady, wäre es nicht ratsamer, Sie würden das Transportmittel Seiner Gnaden benutzen?« sagte Catlett mißbilligend.
Juliana erinnerte sich wieder, daß Quentin ihr gesagt hatte, die persönliche Sänfte des Herzogs stände zu ihrer Verfügung. Wenn sie sie benutzte, würde sie unter dem Schutz von Tarquins Personal stehen. Sie könnte jederzeit sagen, sie hätte angenommen, das entspräche seiner persönlichen Begleitung, falls Tarquin ihr bei ihrer Rückkehr Vorhaltungen machen sollte.
»Ja, danke, Catlett«, erwiderte sie mit einem liebenswürdigen Lächeln. »Ich war mir nur nicht sicher, ob Seine Gnaden die Sänfte nicht selbst benötigte.«
Catlett verbeugte sich, die Erklärung leuchtete ihm ein, und schickte den Stiefeljungen in den Stallhof nach dem fraglichen Gegenstand. Die Träger brachten den Stuhl in die Eingangshalle, wo Catlett Juliana beim Einsteigen behilflich war; dann wies er die Männer an: »Paßt gut auf, Leute. Und seid vorsichtig mit Ihrer Ladyschaft. Kein Gerüttel und Geschüttel.« Er beugte sich zu ihr und fragte: »Wo sollen die Männer Sie hinbringen, M'lady?«
»In die Bond Street«, erklärte Juliana aufs Geratewohl. Sie würde den Trägern andere Anweisungen geben, sobald sie draußen auf der Straße waren.
Sie trotteten mit ihr die Albermarle Street hinauf, ohne den Mann wahrzunehmen, der in der Hofeinfahrt auf der
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