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Wilde Chrysantheme

Wilde Chrysantheme

Titel: Wilde Chrysantheme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Feather
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es dauerte nicht lange, bis ihm die Realität seiner Situation erneut mit niederschmetternder Deutlichkeit bewußt wurde. Er war aus dem Haus seines Cousins hinausgeworfen worden, abgeschnitten von jener prall gefüllten und stets offenen Börse. Und die Schuld daran trug nur dieses verfluchte Weib.
    Er betrat das »Shakespeare's Head«, ignorierte die Begrüßung von Bekannten und setzte sich in brütendem Schweigen an einen Ecktisch, isoliert von den übrigen Gästen. Seinen zweiten Humpen Gin hatte er schon zur Hälfte leergetrunken, als er sich eines Augenpaares bewußt wurde, das ihn von einem Tisch am Fenster aus aufmerksam musterte. Lucien starrte wütend durch den rauchgeschwängerten Schankraum, dann konzentrierte sich sein trüber Blick. Er erkannte den übergewichtigen Mann wieder, der aussah, als hätte sich ein Holzkopf herausgeputzt, um den feinen Herrn zu markieren, eingezwängt in die Kleider eines Mannes von Welt, sein feistes Gesieht bereits stark vom Alkohol gerötet. Als Lucien den anderen ebenso durchdringend anstarrte, wischte sich der Mann mit seinem Ärmel eine Fettspur vom Kinn und schob seinen Stuhl zurück.
    Er bahnte sich leicht schwankenden Schrittes einenWeg zwischen den vollbesetzten Tischen hindurch und blieb in Luciens Ecke stehen. »Verzeihen Sie, M'lord, aber gestern abend bin ich zufällig dabeigewesen, als Sie Ihre Ehefrau versteigert haben«, begann George, von dem totenkopfähnlichen Starren und der grünlich-weißen Siechenfarbe des Mannes ebenso eingeschüchtert wie von der erschreckenden Bösartigkeit in den eingesunkenen Augen.
    »Ich erinnere mich«, sagte Lucien schroff. »Sie hatten fünfhundert Guineen für sie geboten. Sie war wohl Ihr Geschmack, wie?«
    »Ist sie tatsächlich Ihre Gemahlin, Sir?« George konnte die Dringlichkeit seiner Frage nicht verbergen, und Luciens Augen nahmen umgehend einen wachsamen Ausdruck an.
    Er vergrub seine Nase in seinem Humpen, bevor er sagte: »Was geht Sie das an, wenn ich fragen darf?«
    George machte Anstalten, sich einen Stuhl zurechtzurücken, doch die Miene des Viscounts ließ ihn innehalten. Verlegen blieb er stehen. »Ich glaube, ich kenne sie«, stotterte er.
    »Oh, man sollte annehmen, daß Sie und halb London sie kennen«, erwiderte Lucien mit einem Achselzucken. »Sie stammt schließlich aus einem Puff.«
    »Das dachte ich mir.« Georges ohnehin schon gerötetes Gesicht färbte sich vor Aufregung noch dunkler. »Dann ist sie also nicht wirklich Ihre Ehefrau. Eine Fleet-Hochzeit vielleicht?«
    »Tja, schön wär's!« Lucien lachte scheppernd auf. »Ich versichere Ihnen, sie ist Lady Edgecombe, absolut rechtmäßig mit Brief und Siegel. Mein verfluchter Cousin hat dafür gesorgt. Die Pest über ihn!« Er gönnte sich einen erneuten Schluck.
    George war völlig verblüfft. Seine Enttäuschung über die Mitteilung von Julianas rechtmäßiger Ehe war so groß, daß er einen Moment lang nicht wußte, was er sagen sollte. Die ganze Zeit hatte er sich eingeredet, daß sie unmöglich das sein konnte, was sie zu sein schien, und jetzt stürzten all seine sorgfältig ausgearbeiteten Pläne in sich zusammen wie das sprichwörtliche Kartenhaus.
    »Warum interessieren Sie sich eigentlich so für diese Person?« verlangte Lucien zu wissen.
    George befeuchtete seine trockenen Lippen mit der Zungenspitze. »Sie hat meinen Vater ermordet.«
    »Wie bitte?« Lucien setzte sich auf, seine Augen plötzlich wachsam und lebendig. »Nun, ich muß sagen, das überrascht mich nicht. Heute nachmittag hätte sie mich ebenfalls beinahe umgebracht. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich ihr einen Knebel in den Mund gesteckt, sie an Händen und Füßen gefesselt und ertränkt!«
    George nickte, seine kleinen Schweinsaugen glitzerten. »Sie ist eine Mörderin. Ich werde nicht eher ruhen, bis ich sie auf dem Scheiterhaufen brennen sehe.«
    »Setzen Sie sich doch, lieber Freund.« Lucien wies nun doch auf den Stuhl und brüllte einem vorbeieilenden Schankgehilfen zu: »Bring uns eine Flasche Burgunder, aber ein bißchen dalli, du träger Nichtsnutz!« Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und betrachtete George nachdenklich. »Es scheint, als hätten wir ein gemeinsames Ziel. Erzählen Sie mir alles über den bemerkenswerten Lebenswandel meiner lieben Ehefrau.«
    George beugte sich vor und senkte vertraulich die Stimme. Lucien hörte sich die Geschichte schweigend und mit ausdrucksloser Miene an, während er sich bedächtig bis auf den Boden der

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