Wilde Chrysantheme
Ungeschicklichkeit, obwohl alle erleichtert über die unerwartete Ablenkung waren – bis auf Lady Briscow, die eindeutig keine Erleichterung benötigte.
Lady Melton sagte hastig: »Das musste einfach passieren, Lady Edgecombe. Was für ein dummer Ort, um eine Teetasse zu plazieren. Ich verstehe beim besten Willen nicht, wie der Diener sie dort hat hinstellen können.«
Juliana versuchte, den Lakaien von dem Vorwurf zu entlasten und sich selbst die Schuld an diesem Mißgeschick zu geben, doch Tarquin unterbrach sie kühl: »Kommen Sie, meine liebe Lady Edgecombe. Es ist ja nichts weiter passiert, und Sie machen aus einer Mücke einen Elefanten.« Er nahm ihren Arm und zog sie mit sich aus dem Salon.
»Ich wünschte, ich wäre nicht so schrecklich tolpatschig«, jammerte Juliana, als sie erneut auf den Phaeton hinaufbugsiert wurde. »Immer diese Peinlichkeiten!« »Nun, in diesem Fall hat deine Tolpatschigkeit allen aus einer ziemlichen Verlegenheit geholfen«, sagte der Herzog trocken. »Cornelia Briscow besitzt die schärfste und vulgärste Zunge der ganzen Stadt.«
»Aber stimmt es wirklich, daß die… äh… Neigung… meines Ehemannes allgemein bekannt ist?«
»Natürlich. Er hat in seinem Leben schon genügend Skandale verursacht, um ein halbes Dutzend Familien zu ruinieren. Aber im allgemeinen ist es nicht das Thema höflicher Konversation.«
»Und offenbar auch keinThema, das der Erwähnung wert war, bevor seine Braut vor dem Altar stand«, sagte sie scharf.
Tarquin warf ihr einen Seitenblick zu. »Ich konnte mir nicht vorstellen, daß es dir in irgendeiner Weise helfen würde, davon zu wissen.«
Er klang so verdammt selbstsicher. Kamen ihm denn niemals Zweifel an seinem Tun und dessen Folgen? Aber wenigstens hat er Reue über das ganze Debakel mit Lucien gezeigt, erinnerte Juliana sich, deshalb würde sie nichts dabei gewinnen, wenn sie fortfuhr, dieses Hühnchen mit ihm zu rupfen.
»Lord Quentin scheint Lady Lydias Gesellschaft recht angenehm zu finden«, ließ sie sich nach einer Pause beiläufig vernehmen.
»Das tun die meisten Menschen«, sagte der Herzog. Er klang leicht überrascht über diese Feststellung.
»Ja, natürlich«, pflichtete Juliana ihm bei. »Sie ist eine sehr charmante Dame. Wohlerzogen und nett, glaube ich.«
»Das trifft ohne Frage zu.«
»Und auch sehr hübsch. Ich glaube, Männer finden diesen blassen, blonden Typ höchst reizvoll.«
»Was weißt du denn davon?« Tarquin blickte sie mit einem amüsierten Lächeln an.
»Nun, ich denke, es kann gar nicht anders sein. Lord Quentin scheint von Lady Lydia offensichtlich ebenfalls angetan.«
»Sie ist eine alte Freundin«, erwiderte er mit einem leichten Stirnrunzeln. »Quentin kennt Lydia schon seit ihrer Kindheit.«
»Ich frage mich, wann er wohl heiraten wird«, sagte Juliana versonnen. »Chorherren dürfen sich doch verehelichen, oder?«
»Gewiß. Und Bischöfe auch.« Er lenkte die Pferde in den Stallhof hinterm Haus. »Quentin wird die perfekte Ehefrau für sich finden, eine, die eine Zierde seines Bischofspalastes sein wird und ein Vorbild für die Ehefrauen seiner Geistlichen, und sie werden einen ganzen Köcher voll Kinder haben.«
Er warf die Zügel einem Stallburschen zu und sprang auf das Pflaster. »Komm.«
Juliana nahm seine dargebotene Hand und sprang neben ihn, wobei ihr Reifrock heftig um sie herumschwang. Einen Moment lang stand sie da und starrte nachdenklich auf eine Regentonne, wo ein Wasserkäfer über die trübe Oberfläche flitzte.
»Was denkst du gerade?« Tarquin hob ihr Kinn zu sich hoch. Abweisend schüttelte sie den Kopf. Sie hatte nicht vor, ihm zu sagen, daß sie gerade nach einer Möglichkeit Ausschau hielt, Zweifel in seinem störrischen Hirn zu säen. »Ich dachte nur, daß es Lucy vielleicht gefallen würde, ein bisschen in der Kutsche umherzufahren und frische Luft zu schnappen.«
»Von mir aus«, sagte er. »Aber du wirst Ted als Eskorte mitnehmen.«
Juliana zog eine Grimasse, protestierte jedoch nicht. Sie knickste flüchtig vor ihm und betrat das Haus durch die Hintertür.
Tarquin blickte ihr versonnen nach. Nicht im entferntesten hatte sie über Lucy nachgedacht. Etwas sehr viel Komplizierteres war hinter jenen großen grünen Augen vorgegangen.
Er ertappte sich dabei, wie er sich wünschte, er könnte ihre Gedanken lesen, könnte hinter jene Augen in die private Welt von Julianas Ich schlüpfen. Sie gab sich freimütig und offen, dennoch spürte er, daß sie immer ein wenig
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