Wilde Chrysantheme
war? Es ging darum, sein Kind zu gebären, es seiner ausschließlichen Kontrolle zu überlassen, ein Leben der Täuschung zu führen – in völliger Abhängigkeit von seiner Gunst. Sie blickte zu ihm auf; ihre Augen sprachen eine eigene Sprache, doch ihre Zunge blieb stumm.
Nach einer langen Minute angespannten Schweigens gab Tarquin ihre Hände frei. In seinen Zügen las sie Bedauern, aber er sagte ruhig und sachlich: »Ich glaube, es wird Zeit, daß du Lady Meltons Besuch erwiderst. Man darf solche Artigkeiten nicht vernachlässigen.«
»Nein«, stimmte Juliana eifrig zu, als sie dieses unverfänglichere Thema wie eine Rettungsleine ergriff, die sie aus dem Labyrinth ihrer Verwirrung führen sollte. »Soll ich allein gehen?«
»Nein, ich werde dich in meinem Zweispänner mitnehmen.« Er prüfte ihre Erscheinung mit kritischem Blick. »Ich mag diesen merkwürdigen Brustknoten an deinem Kleid nicht. Er verdirbt die elegante Linie des Oberteils.«
Juliana blickte auf das kleine Sträußchen aus Seidenorchideen in dem Ausschnitt ihres Kleides. »Ich fand die Blumen hübsch.«
»Das sind sie ja auch, aber nicht an dir. Sie sind zu verspielt… zuviel Schnickschnack.« Er machte eine ungeduldige Handbewegung. »Dein Busen braucht keine Dekoration.«
»Oh«, japste sie.
»Zieh dich jetzt um, und sag Henny, sie soll die Blumen möglichst bald entfernen.«
»Wie Sie befehlen, Mylord.« Julina versank in einen ergebenen Knicks. »Haben Sie sonst noch irgendwelche Anweisungen hinsichtlich meines Aufzugs?«
»Im Moment nicht«, erwiderte er und ignorierte ihren Sarkasmus. »Außer daß ich dich in dem blaugeblümten Musselinkleid sehen möchte. Es öffnet sich über einem dunkelblauen Unterrock, soweit ich mich entsinne. Dazu gehört auch ein Spitzenhalstuch, das ausreichend dezent wirken wird bei unserem Besuch in einem Trauerhaus.«
Juliana beschränkte ihre Reaktion auf einen erneuten unterwürfigen Knicks. Tarquins Augen blitzten vor Belustigung. »Du hast eine halbe Stunde Zeit!« Er setzte sich wieder an seinen Schreibtisch und griff demonstrativ nach seiner Feder, um ihr zu verstehen zu geben, daß sie hiermit entlassen war.
Juliana ging die Treppe hinauf in ihr Schlafgemach, um das verlangte Kleid anzuziehen. Es war eine wundervolle Erleichterung, ganz einfach böse auf Tarquin zu sein. Mit ihren Emotionen konnte sie soviel besser umgehen, wenn sie es mit seiner diktatorischen Art zu tun hatte, als wenn er sie mit der faszinierenden Verheißung seiner Liebkosungen verwirrte.
Er wartete bereits in der Halle auf sie, als sie zwanzig Minuten später herunterkam, ihre Handschuhe und einen Fächer in der Hand. Auf der untersten Treppenstufe blieb sie stehen und legte fragend den Kopf schief, während sie auf seinen Kommentar wartete.
Tarquin ließ seinen Blick prüfend von ihrem sorgfältig frisierten Haar bis hinunter zu den Spitzen ihrer Glacelederpumps schweifen. Dann beschrieb er einen Kreis mit seinem Zeigefinger. Juliana trat von der Stufe herunter und drehte sich langsam.
»Ja, viel besser«, zollte er Beifall. »Gut, dann laß uns gehen. Mein Phaeton wartet vor der Tür.«
Er half Juliana auf den Kutschbock und schwang sich neben sie auf den Sitz. »Es wird nicht nötig sein, länger als eine Viertelstunde bei Lady Melton zu verbringen. Falls sie heute nicht empfängt, kannst du deine Visitenkarte dalassen.«
»Aber ich habe keine Karte.«
»Doch, die hast du.« Er griff in seine Brusttasche und reichte ihr eine schlichte weiße Karte, auf der in einer eleganten Handschrift stand: »Viscountess Lady Edgecombe.« »Mein Sekretär hat die Ausfertigung höchstpersönlich übernommen. Er besitzt eine gestochen scharfe Handschrift, wie du mir sicherlich beipflichten wirst.«
»Besser als meine«, gestand Juliana, als sie die Karte begutachtete. Sie schien ihr ein Gefühl der Beständigkeit zu vermitteln, als könnte sie sich wirklich mit der Zeit als Lady Edgecombe betrachten. Als könnte beinahe nichts mehr sie aus dieser erstrebenswerten Position verdrängen…
Vor dem Stadthaus der Meltons reichte Tarquin die Zügel seinem Pferdeknecht, der von dem hinteren Trittbrett sprang, um sie zu übernehmen; dann schwang er sich vom Kutschbock. Juliana raffte ihre Röcke und machte sich zum Aussteigen bereit, wobei sie sich klugerweise an der Seitenwand des ziemlich hohen Gefährts festhielt, als sie zögernd einen Fuß auf die oberste Stufe des Trittbretts stellte.
»Ich glaube, es ist doch sicherer, wenn
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