Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wilde Chrysantheme

Wilde Chrysantheme

Titel: Wilde Chrysantheme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Feather
Vom Netzwerk:
Sollten sie doch von ihr glauben, was sie wollten. Sie musste sich auf wichtigere Punkte konzentrieren. Die Straßenhuren sahen verlebt und hager aus, ihre Kleider verblaßt, schäbig gewordene Prachtgewänder, die früher einmal von anderen getragen worden waren, wie Juliana vermutete. Neben diesen Frauen sahen die Mädchen aus der Russell Street und ähnlichen Häusern verhätschelt und blühend aus, aber alle hatten eines gemeinsam: eine Vorsicht, ein scharfes Mißtrauen in den Augen, eine spürbare Resignation gegenüber den Wechselfällen des Lebens, als könnte ihnen, was immer sie heute noch an Sicherheit besaßen, morgen schon wieder genommen werden und als gäbe es keinerlei Abhilfe dagegen. Ihnen mussten die Sicherheit und Beständigkeit von Julianas eigener Situation geradezu wie der Himmel auf Erden erscheinen. Dabei waren dies noch nicht einmal die ärmsten der Weiblichkeiten von Covent Garden. Es gab Frauen und junge Mädchen, noch kaum dem Kindesalter entwachsen, die im Sommer wie im Winter unter den Marktständen lagen, um sich an jeden zu verkaufen, der sie mit einem Kanten Brot oder einem Schluck Gin bezahlte.
    Juliana begann, ihre Idee zu erklären, zuerst mit ruhigen, einfachen Worten, dann mit zunehmender Leidenschaft und vor Eifer blitzenden Augen, angestachelt von den Eindrücken dessen, was sie gesehen hatte, dem Wissen um das Leben, das diese Frauen führten, dem Bewußtsein, daß sie selbst nur um Haaresbreite einer solchen Existenz entgangen war.
    »Es ist kein unabwendbares Schicksal, daß wir gezwungen sein sollten, so zu leben, wie es die Bordellwirtinnen und Zuhälter diktieren. Es ist kein unabwendbares Schicksal, daß wir unseren Verdienst in den Taschen von geldgierigen Puffbesitzern verschwinden sehen müssen. Es ist kein unabwendbares Schicksal, daß wir in ständiger Furcht davor leben, wegen der geringfügigsten Beleidigung, dem leisesten Wort des Protests im Gefängnis landen. Nichts von alledem ist unabwendbar, wenn wir uns gegenseitig helfen und unterstützen.« Instinktiv hatte sie während der ganzen Zeit von »wir« gesprochen. Wenn sie sich nicht mit den Frauen identifizierte, würde sie wie eine Predigerin klingen, hoch oben auf einer Kanzel und fern von ihrem Lebenskampf. Abgesehen davon identifizierte sie sich wirklich mit ihnen, auch wenn ihre eigene Situation wesentlich anders aussah.
    Sie hielt inne, um Atem zu holen, und Lilly sprang ein, ihre Augen feucht vor Tränen. »Wir müssen einen Fonds haben, wie Juliana gesagt hat. Jede von uns zahlt so viel ein, wie sie sich leisten kann…«
    »Leisten!« schrie Tina aufgebracht, während sie in ein Taschentuch hustete. »Das ist wirklich ein starkes Stück, das muß ich schon sagen. Für euch, die ihr ein anständiges Haus und alles gefunden habt, mag das ja gut und schön sein. Aber für uns… zwischen uns und dem Teufel ist rein gar nichts bis auf ein Sixpencestück hin und wieder, wenn wir Glück haben.«
    »Aber genau darum geht es mir doch«, warf Juliana eifrig ein. »Hören Sie, wenn Sie nicht all jene Ausgaben ständig hätten, wären Sie in der Lage, etwas zu dem Fonds der Schwesternschaft beizutragen. Jene von uns, die am meisten verdienen, werden auch am meisten einzahlen – das ist nur gerecht. Und der Rest steuert so viel bei, wie er kann. Aber wir werden unsere eigenen Lieferanten für Kohlen und Kerzen und Essen und Wein suchen. Wenn wir ihnen eine bestimmte Menge von Aufträgen garantieren können, dann finden wir sicherlich einige Händler, die bereit sind, Geschäfte mit uns zu machen. Die bereit sind, uns in der Anfangszeit Kredit zu gewähren.«
    »Du lieber Himmel, Schätzchen, wer wird uns schon Kredit gewähren?« fragte eine Frau auf der Bank vor dem Kamin. Sie lachte schallend über die Absurdität einer solchen Vorstellung.
    »Viscountess Edgecombe werden sie Kredit einräumen«, sagte Juliana störrisch.
    Ihre Antwort löste ein nachdenkliches Schweigen aus. Juliana wartete angespannt, ihr Blut war erhitzt von ihrem leidenschaftlichen Bedürfnis, die Frauen davon zu überzeugen, daß sie ihr Leben selbst in die Hnad nehmen
konnten,
wenn sie nur den Mut dazu aufbrachten. Es musste doch machbar sein.
    »Dann wären Sie bereit, Ihren Namen dafür herzugeben?« Tina sah sie plötzlich mit einem gewissen Respekt an.
    »Jawohl.« Juliana nickte nachdrücklich. »Ich werde jede Woche meinen Beitrag in den Fonds einzahlen, genau wie alle anderen; und ich kümmere mich um die Händler, die bereit

Weitere Kostenlose Bücher