Wilde Chrysantheme
Kundenfang oder damit beschäftigt, die Bedürfnisse eines Klienten zu befriedigen. Zwei Hunde kämpften erbittert um ein Stück weggeworfener Innereien in der Mitte der »Stube«; um sie herum hatte sich ein Kreis von jungen Gentlemen gebildet, die die Hunde lautstark anfeuerten und Wetten darüber abschlössen, wer als Sieger aus dem Kampf hervorgehen würde. Sie trugen die erlesene Kleidung von Höflingen, doch ihre Halstücher waren lose und zerknittert, ihre Perücken saßen schief, ihre Seidenstrümpfe verdreht. Frauen drängten sich um sie, tätschelnd und streichelnd und neckend, um Küsse oder auch gelegentlich derbe Ohrfeigen im Austausch dafür zu empfangen, während die jungen Herren von Geblüt Gin aus Humpen tranken und Obszönitäten zu den Dachsparren hinaufbrüllten.
Juliana fühlte sich augenblicklich allen Blicken ausgesetzt. Dies hier war doch etwas völlig anderes, als verstohlen in Mistress Mitchells Hinterzimmer hinaufzuschlüpfen. Aber sie wußte, daß die Frauen, die sie und die Mädchen aus der Russell Street an diesem Abend zu versammeln hofften, sich an diesem Ort wohler fühlen würden als in einer exklusiveren Herberge. Sie bahnte sich einen Weg in den hinteren Teil des Schankraums, und ihre hochgewachsene Gestalt und ihr flammendrotes Haar erregten sofort unerwünschte Aufmerksamkeit.
»He, wohin des Weges, meine Hübsche?« Ein junger Mann packte ihren Arm und grinste leer auf sie herunter. »Hab' dich bisher noch nie gesehen.«
»Lassen Sie mich los«, erwiderte Juliana kalt und befreite ihren Arm aus seinem Griff.
»Oho! Wir markieren die Madame, wie?« bellte ein anderer junger Mann mit kleinen, blutunterlaufenen Augen in einem runden, fast kindlichen Gesicht. »Gib uns einen Kuß, mein Schatz, und wir lassen dich durch.« Er stürzte sich lüstern grinsend auf sie.
Juliana versetzte ihm einen harten Stoß, der ihn unter kreischendem Gelächter rückwärts gegen den Tisch taumeln ließ. Bevor er sich wieder fangen konnte, hatte Juliana sich in den rückwärtigen Teil des Raums durchgedrängelt.
»Juliana!« Lillys scharfes Flüstern drang an ihr Ohr, als sie sich noch fragte, wohin sie gehen und wen sie fragen sollte. Die junge Frau stand in einer Tür und winkte sie hastig zu sich. »Schnell. Sie wissen nicht, daß wir hier drinnen sind, aber wenn sie es herausfinden, fangen sie einen schrecklichen Krawall an.« Sie zog Juliana in den Raum und schlug die Tür hinter sich zu. »Es ist wirklich zu ärgerlich, aber man kann hier nicht abschließen. Und die jungen Adligen sind immer die schlimmsten von allen. Sie fangen bei der geringsten Kleinigkeit zu randalieren an – bevor wir noch wissen, wie uns geschieht, sind wir mitten in einer Schlägerei.«
»Das kann ich mir lebhaft vorstellen«, sagte Juliana grimmig, während sie die Falten ihres Kleides ausschüttelte, das zerdrückt und zerknittert worden war, als sie sich durch den Schankraum gekämpft hatte. »Sie sind wirklich eine niederträchtige Brut.«
»Unser täglich Brot«, sagte eine Frau vom Tisch her und hob einen Humpen Ale an die Lippen. »Aber nicht für Leute wie Sie, M'lady.« Sie lächelte anzüglich. »Es ist alles schön und gut, mit großartigen Plänen aufzuwarten, wenn es nicht Ihr Lebensunterhalt ist, der auf dem Spiel steht.«
»Nun hör schon auf, Tina, sei nicht so scharf. Laß das Mädchen doch erst mal sagen, was ihr durch den Kopf geht.« Eine ältere Frau in einem billigen gelben Kleid schenkte Juliana ein sehr viel freundlicheres Lächeln. »Kommen Sie nur, Schätzchen. Kümmern Sie sich nicht um Tina. Die ist ja nur sauer, weil ihr Freier gerade bewußtlos auf ihr zusammengebrochen ist und sie keinen Penny aus ihm herauskriegen konnte.«
Juliana blickte sich in dem Raum um und erkannte in der ziemlich großen Gruppe einige Gesichter von dem früheren Treffen wieder. Frauen saßen um den Tisch, hockten auf der breiten Fensterbank und drängten sich dicht an dicht auf den Holzbänken zu beiden Seiten des Kamins. Sie alle tranken, sogar die Mädchen aus der Russell Street, und die meisten von denen, die Juliana unbekannt waren, musterten sie skeptisch, als sie sich vorstellte.
»Jetzt lassen Sie uns endlich hören, was Sie da anzetteln wollen«, schimpfte Tina, noch immer kriegerisch. »Wir haben nicht die ganze Nacht Zeit. Ein paar von uns müssen nämlich arbeiten, um ein Stück Brot auf den Teller zu bekommen.«
Juliana begriff, daß es sinnlos wäre, ihre eigene Position zu erläutern.
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