Wilde Chrysantheme
Einmündungen der Gassen zu verschwinden, als die Gruppe daran vorbeigetrieben wurde. Aber für sie selbst bestand keine Chance auf ein solches Entrinnen. Sie hatte einen Büttel ganz für sich allein, der sie fest am Ellenbogen gepackt hielt, während er sie mit sich zerrte.
Rosamund weinte verzweifelt; Lilly dagegen verfluchte ihre Gefangenenwärter mit all der Heftigkeit und Ausdrucksstärke eines Fischweibs aus Billingsgate. Ihre Miene war grimmig und angespannt, doch Juliana hatte nicht das Gefühl, daß sie zusammenbrechen würde. »Wohin bringen sie uns?« fragte sie.
»Zu Richter Fielding«, stieß Lilly zwischen zusammengepreßten Lippen hervor. »Und dann ins Gefängnis nach Tothill Bridewell, wie ich annehme.«
Juliana schluckte hart. »Nach Tothill Bridewell? Aber weswegen denn?«
»Es ist eine Besserungsanstalt für gefallene Frauen«, erklärte Lilly ihr barsch. »Bist du so naiv, daß du das nicht weißt?«
»Natürlich weiß ich das. Aber wir haben doch überhaupt nichts getan.« Juliana bemühte sich, ihre Wut in Schach zu halten, weil sie wußte, daß sich hinter Lillys schroffer Ungeduld Furcht verbarg.
»Wir steckten mittendrin in einer Schlägerei. Das genügt vollauf für eine Verurteilung.«
Juliana kaute grübelnd auf ihrer Unterlippe. »Mistress Mitchell war da, zusammen mit einem schmuddelig aussehenden Geschöpf, Mutter Cocksedge, wie ich annehme.«
»Ich habe sie auch gesehen.«
»Glaubst du, sie hat die Büttel auf uns gehetzt?«
»Natürlich.« Lilly drehte den Kopf, um Juliana anzusehen, und ihre Furcht war jetzt deutlich in ihren Augen zu erkennen. »Wir haben dir ja klarzumachen versucht, daß es unmöglich ist, die Herrschaft der Bordellwirtinnen abzuschütteln«, sagte sie deprimiert. »Es war blöd von mir, daß ich mich so von deiner Beredsamkeit und Begeisterung habe mitreißen lassen. Heute abend gab es einen Moment, da habe ich tatsächlich geglaubt, es könnte möglich sein. Wir würden unseren persönlichen Bedarf bei Händlern kaufen, die uns nicht übers Ohr hauen, würden uns in Krankheit und Not gegenseitig unterstützen und den Bastarden eine lange Nase machen.« In wütender Ungeduld schüttelte sie den Kopf. »Narren… wir waren allesamt Narren!«
Juliana schwieg. Nichts von dem, was sie im Moment sagen könnte, würde die Situation verbessern, und sie musste sich jetzt auf ihre eigene Misere konzentrieren. Unmöglich konnte sie vor dem Richter ihre Identität preisgeben… keine ihrer Identitäten, sie musste den Namen der Courtneys aus dieser Sache heraushalten, durfte ihn nicht mit ihrer persönlichen Schande in Verbindung bringen. Trotz all seiner Hinterhältigkeit konnte sie es dem Herzog nicht antun, als Ehefrau seines Cousins öffentlich ins Gefängnis abtransportiert zu werden.
Abtransportiert? Oder an den Karren gefesselt? Das Blut in ihren Adern gefror zu Eis, und kalter Schweiß brach auf ihrer Stirn aus. Würden sie sie an den Karren gefesselt in die Besserungsanstalt verfrachten? War sie im Begriff, unter Peitschenhieben durch die Straßen von London getrieben zu werden?
Eine Woge von Übelkeit stieg in ihrer Kehle auf. Sie wußte, es war Teil der üblichen Bestrafung für Kupplerinnen und Bordellwirtinnen. Aber das waren sie ja gar nicht, sondern die Sklavinnen dieser Frauen! Gerechtermaßen müßte das ein geringeres Vergehen in den gestrengen Augen des Sir John Fielding sein.
Der Trupp kam vor einem hohen Haus in der Bow Street zum Stehen, und einer der Konstabier hämmerte mit seinem Amtsstab an die Tür. Ein verschlafener Lakai öffnete. »Wir haben Huren festgenommen, um sie Sir John vorzuführen«, verkündete der Konstabier mit großer Wichtigkeit. »Sie wollten einen Aufruhr anzetteln… haben sich unsittlich aufgeführt… zur Prostitution aufgefordert… die Gäste zu Gewalttätigkeiten aufgehetzt.«
Der Lakai blickte über den Kopf des Büttels hinweg auf die Frauen. Er grinste lüstern, als er ihren wüsten Aufzug sah. Selbst die Bessergekleideten hatten arg unter der Verhaftung gelitten und versuchten jetzt, zerrissene Kleideroberteile und aufgeschlitzte Ärmel zusammenzuhalten. »Ich werde Sir John wecken«, sagte er und trat zurück, um das Tor weit zu öffnen.
»Wenn Sie sie in das vordere Untersuchungszimmer bringen wollen, wo Sir John seine Amtsgeschäfte erledigt, werd' ich ihn für Sie holen.«
Die Konstabier trieben ihre Herde ins Innere und weiter in einen großen, holzgetäfelten Raum auf der linken Seite der
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