Wilde Chrysantheme
schauspielerischen Talent. Und du hast sogar echte Tränen zustande gebracht.« Er zerdrückte mit seinem Daumen eine einzelne Träne auf ihrer Wange. »Nicht viele, aber immerhin, eine bemerkenswerte Leistung.«
»Oh, Sie sind verabscheuungswürdig!« flüsterte sie und riß ihren Kopf zurück. »Lassen Sie mich gehen.«
»Aber selbstverständlich.« Er marschierte zur Tür und öffnete sie. »Es steht Ihnen frei, sich zu wenden, wohin Sie wollen… außer natürlich zurück in die Russell Street. Mistress Dennison wird keinen Anreiz mehr haben, Ihnen weiterhin ihre Gastfreundschaft anzubieten.«
Juliana starrte ihn verständnislos an. Würde er ihr wirklich erlauben fortzugehen, nach allem, was gesagt worden war?
»Sie können die Kleider behalten, die Sie auf dem Leib tragen, da die Sachen, in denen Sie damals eintrafen, offenbar unauffindbar sind«, fuhr der Herzog mit einem liebenswürdigen Lächeln fort, das nichts von seiner inneren Unsicherheit erkennen ließ. Würde sie es darauf ankommen lassen und schnurstracks hinausmarschieren? Oder hatte er sie richtig eingeschätzt? Impulsiv und dennoch weit davon entfernt, unvernünftig zu sein. Störrisch, aufsässig und dennoch klar denkend und intelligent.
Juliana blickte betreten an ihrem eleganten bronzefarbenen Seidenkleid herab, den Fransen des reichbestickten Schals. Wohin könnte sie in diesem Aufzug schon gehen? Sie würde niemals eine Stellung als Bedienstete finden, so aufgeputzt, wie sie war.
»Verzeihen Sie mir«, sagte Tarquin trügerisch sanft, »aber es macht mich ein wenig müde, die Tür für Sie aufzuhalten.«
Juliana raffte ihre Röcke und rauschte schweigend an ihm vorbei. Sie marschierte die Treppe hinunter. Der Lakai öffnete ihr den Eingang, und sie trat hinaus auf die Straße.
In dem Morgenzimmer fuhr Quentin zu seinem Halbbruder herum, während Zorn in seinen Augen funkelte. »Wie kannst du es wagen, sie so zu behandeln!«
»Es steht ihr frei zu gehen. Ich werde sie nicht gegen ihren "Willen festhalten. Möchtest du einen Sherry?«
»Nein«, erwiderte Quentin kurz angebunden. »Was soll sie denn jetzt tun?«
»Ich weiß es wirklich nicht.« Tarquin schenkte sich ein Gläschen Sherry ein. »Sie muß einen Plan gehabt haben, als sie nach London reiste. Sicherlich wird sie ihn jetzt in die Tat umsetzen.«
Quentin wanderte unruhig zum Fenster, aber es ging auf den Garten hinter dem Haus hinaus, und er konnte nichts von der Straße sehen. »Ich werde ihr nachgehen«, sagte er energisch. Ihr wenigstens Geld anbieten. Sie ist zu jung, als daß man sie frei in der Großstadt herumlaufen lassen könnte.«
»Genau das denke ich auch, mein Lieber.« Tarquin nippte an seinem Sherry und betrachtete seinen Bruder aus schmalen Augen. »Viel zu jung. Und bei weitem zu unerfahren.«
»Gottverdammt, Tarquin, du bist wirklich ein eiskalter Bastard«, fluchte Quentin, als hätte er niemals drei Jahre in einem Priesterseminar verbracht. »Aber wenn du nicht sofort die Initiative ergreifst, dann tue
ich
es.« Er eilte zur Tür und griff in dem Moment nach der Klinke, als sie sich erneut öffnete.
Juliana stand auf der Schwelle. Ihr Blick war auf Tarquin geheftet. »Wo soll ich denn hin?« fragte sie gepreßt. »Was soll ich anfangen?«
»Wohin auch immer und was auch immer Sie möchten«, erwiderte er, aber seine Stimme hatte all ihre Härte verloren.
»Sie wissen, was mit mir passieren wird! Aus genau dem Grund haben Sie mir heute morgen all jene Dinge in Covent Garden gezeigt, nicht wahr?« Ihr Gesicht war bleicher als je zuvor, die Handvoll Sommersprossen auf ihrem Nasenrücken hoben sich wie dunkle Farbspritzer von ihrer weißen Haut ab. In ihren Augen loderte ein grünes Feuer.
»Mein liebes Mädchen, Sie haben keinen Grund zur Besorgnis. Ich werde Ihnen Geld geben, und dann können Sie nach Hause fahren, zurück zu Ihrer Familie.« Quentin suchte in seinen Taschen.
Juliana schüttelte den Kopf. »Vielen Dank, Mylord. Sie sind sehr freundlich, aber verstehen Sie… ich kann nicht nach Hause zurück, wie der Herzog sehr wohl weiß. Und er weiß auch, daß mir keine andere Wahl bleibt, als zu tun, was er von mir verlangt.«
8. Kapitel
»Mistress Dennison bittet Euer Gnaden, ihr die Ehre zu erweisen, für eine kurze Unterredung in ihren Privatsalon zu kommen.« Mr. Garston überbrachte die Nachricht mit einer tiefen Verbeugung, als der Herzog von Redmayne eine halbe Stunde später in dem Etablissement in der Russell Street erschien und
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