Wilde Chrysantheme
sich ihre waagerechten Brauen beinahe über der Nase trafen. »Wenn Sie sich alle zusammentäten und gegen eine so schlechte Behandlung wehrten, dann würden die Männer ihr Benehmen wohl oder übel ändern müssen.«
Lilly lachte bitter auf. »Meine liebe Juliana, seien Sie kein Einfaltspinsel. Für jede einzelne von uns, die sich weigern würde, ihnen ihre Wünsche zu erfüllen, steht schon ein halbes Dutzend anderer Mädchen bereit und wartet nur darauf, unseren Platz einzunehmen.«
»Es ist ja nicht so, als wäre es ein Verbrechen, Dirnen schlecht zu behandeln«, fügte Rosamund hinzu. »Ich meine, man könnte nicht vor Gericht gehen und den Kerl verklagen oder so was.«
»Nein, die Richter sind zu intensiv damit beschäftigt,
uns
zu verfolgen«, erklärte Emma voller Empörung. »Es ist verdammt hart und mühsam, sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen, wenn man nicht in einem angesehenen Haus arbeitet. Die Straßenhuren werden ständig überfallen und ausgeraubt, und am Ende sind die Mädchen dazu verdonnert, auf dem Weg ins Gefängnis hinter dem Karren herzutrotten.«
Männer und Frauen, die an einen Karren gefesselt durch die Straßen von Winchester getrieben und wegen Stadtstreicherei oder ungebührlichen Benehmens öffentlich ausgepeitscht wurden, waren ein durchaus gewohnter Anblick; aber Juliana hätte niemals erwartet, sich in einer Welt wiederzufinden, in der eine solche Bestrafung als eine Art Berufsrisiko akzeptiert wurde. »Trotzdem denke ich, daß sich etwas ändern würde, wenn Sie alle protestieren würden.«
»Tapfere Worte, Juliana, aber Sie sind ja auch noch neu in der Branche«, winkte Lilly ab. »Warten Sie erst mal sechs Monate und sehen Sie dann, wieviel noch von Ihrem Mut übriggeblieben ist.«
»Wenn sie rechtsgültig mit einem Viscount verheiratet werden soll, braucht sie sich nicht an unsere Lebensumstände zu gewöhnen«, hielt Rosamund dagegen. »Aber warum muß der Herzog seinem Cousin eine Frau besorgen? Das erscheint mir doch sehr merkwürdig.«
»Sie sollten besser versuchen, herauszufinden, ob dieser Cousin spezielle Wünsche hat«, riet Emma ihr. »Manchmal müssen sie gefälligere Damen nehmen, weil anständige Frauen nicht bereit sind, ihnen zu Willen zu sein. Aber es besteht die Möglichkeit, daß er etwas Schlimmes von Ihnen verlangt… etwas Verletzendes. Sie wollen doch sicherlich wissen, worauf Sie sich da einlassen.«
Juliana konnte diesen Frauen nicht anvertrauen, daß sie erpreßt wurde und unleugbar gezwungen war zu tun, was immer der Herzog und sein Cousin von ihr verlangten. Sie konnte ihnen nicht sagen, daß all ihre tapferen Proteste und ihre Versuche, Widerstand zu leisten und den Herzog zu einer Änderung seiner Bedingungen zu bewegen, nur Scheingefechte waren. Sie saß ebenso hoffnungslos in der Falle wie jede einzelne von diesen Mädchen, mit nicht mehr Macht, ihr Schicksal zu ändern, als ein aufgespießter Schmetterling.
Mr. Garstons Stimme ertönte plötzlich von der Tür her. »Seine Gnaden verlangt, daß Sie zu ihm und Mistress Dennison in den kleinen Salon kommen, Miss Juliana.«
»Verlangt«, nicht »bittet«.
Juliana erhob sich. Ihr blieb nichts anderes übrig, als der Aufforderung des Herzogs nachzukommen.
Draußen vor der Tür zu dem kleinen Salon zögerte sie einen Moment. Eigentlich war es üblich, vorher anzuklopfen. Dann schob Juliana trotzig das Kinn vor und entschied, eine kleine Szene zu machen. Sie riß abrupt die Tür auf und trat ein.
»Oh, Sie sind es, Juliana.« Elizabeth sah verdutzt aus.
»Mein Erscheinen dürfte wohl kaum eine Überraschung für Sie sein, Madam. Wie ich hörte, möchten Sie mich sprechen.«
Um Tarquins Mundwinkel zuckte es. Miss Juliana schien sich offensichtlich von dem Schock erholt und ihre Courage wiedergefunden zu haben. Er erhob sich von seinem Platz und kam auf sie zu. »Kommen Sie und setzen Sie sich,
Mignonne.«
Er ergriff ihre Hand und hob sie an seine Lippen, dann beugte er sich vor und küßte Juliana leicht auf den Mund.
Es wirkte wie eine zwanglose Begrüßung, doch Juliana war sich durchaus darüber im klaren, was sie zu bedeuten hatte. Eine öffentliche Demonstration seiner Besitzansprüche! Ein Schauder rann über ihr Rückgrat, und sie wandte beklommen den Blick ab.
»Jemand hat sich in der >Glocke< nach Ihnen erkundigt, meine Liebe«, begann Mistress Dennison. »Wissen Sie, wer derjenige sein könnte?«
Juliana gefror das Blut in den Adern. Sie hatten ihre Spur nach London verfolgt!
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