Wilde Chrysantheme
auf sie zu. »Lady Edgecombe, gestatten Sie mir, Sie mit Lady Melton und Lady Lydia Melton bekannt zu machen.« Er ergriff ihre Hand und zog sie mit sich.
Die beiden Damen, die Seite an Seite auf dem Sofa saßen, verbeugten sich aus der Taille heraus, als Juliana vor ihnen knickste. Beide waren ganz in Schwarz gekleidet, wobei Lady Melton zusätzlich eine voluminöse schwarze Tafthaube trug, die ihre Frisur vollständig bedeckte. Ihre Tochter trug eine etwas zierlichere Kopfbedeckung in dunklem Grau. Aber der Gesamteindruck war definitiv melancholisch.
»Es ist mir eine Ehre, Madam«, murmelte Juliana. »Erlauben Sie mir, Ihnen mein tiefempfundenes Beileid zu Ihrem Verlust auszusprechen.«
Lady Melton lächelte flüchtig. »Wie ich erfahren habe, sind Sie erst kürzlich aus York eingetroffen, Lady Edgecombe.«
Juliana nickte und nahm auf dem zerbrechlichen vergoldeten Stuhl Platz, den Tarquin ihr zurechtrückte. Lady Lydia lächelte, sagte jedoch nur wenig während des gesamten Gesprächs und überließ das Reden ihrer Mutter. Juliana war weitaus mehr an der Tochter als an der Mutter interessiert, und sie musterte die junge Frau immer wieder verstohlen. Lady Lydia hatte ein hübsches, wenn auch nicht besonders ausdrucksvolles Gesicht, sanfte blaue Augen und eine eher zurückhaltende Art. Der Herzog verhielt sich den beiden Damen gegenüber förmlich – etwas kühl und distanziert, wie es Juliana schien, im Gegensatz zu seinem Bruder, der sich herzlich und überaus aufmerksam gab. Sie bemerkte, daß Lady Lydias schüchternes Lächeln hauptsächlich Lord Quentin galt.
Der Höflichkeitsbesuch dauerte fünfzehn Minuten, und Juliana war sich dankbar bewußt, daß der Herzog sie geschickt um sämtliche Klippen herummanövrierte. Er beantwortete die meisten Fragen für sie, aber auf raffinierte Weise ließ er den Anschein entstehen, sie selbst antworte. Taktvoll schnitt er neutrale, oberflächliche Gesprächsthemen von allgemeinem Interesse an, die sie die hindernisfreien Bahnen eines rein gesellschaftlichen Diskurses entlangführten, und lenkte die Unterhaltung auf Bereiche, von denen er wußte, daß sie Juliana vertraut waren. Als die Damen sich schließlich verabschiedeten, hegte Juliana die Zuversicht, den nächsten Besuch ohne Hilfe bewältigen zu können.
Quentin und der Herzog begleiteten die Damen zu ihrer Kutsche. Juliana beobachtete die Szene vom Salonfenster aus. Es war Quentin, der Lady Lydia in die Kutsche half, während Tarquin sich um ihre Mutter kümmerte – was Juliana seltsam fand. Lydia schenkte Quentin ein strahlendes Lächeln, als sie sich in die Polster zurücklehnte, und er arrangierte sorgfältig die Falten ihrer Schleppe zu ihren Füßen.
Plötzlich ging Juliana mit blendender Klarheit auf, daß sie, wenn man sie fragen würde, wer mit wem verlobt war, Quentin und Lady Lydia als Paar deklarierte. Es würde Quentins eigenartiges Benehmen im Theater erklären, und sicherlich auch jenen finsteren, trostlosen Ausdruck rechtfertigen, den sie auf seinem Gesicht beobachtet hatte, als sie gedankenlos Tarquins Bemerkungen über seine bevorstehende Hochzeit wiederholt hatte. Mit ihrer gewohnten Ungeschicklichkeit war sie mal wieder voll ins Fettnäpfchen getreten.
Während sie hinausschaute, ging Quentin hinter der Kutsche her die Straße hinunter, und der Herzog kehrte ins Haus zurück. Sie hörte seine Stimme in der Halle und wartete darauf, daß er zu ihr kommen würde, aber das geschah nicht. Sie hatte ein Wort der Anerkennung erwartet… einen kurzen Meinungsaustausch über den Besuch… irgend etwas zumindest. Verärgert eilte sie in die Halle.
»Wo ist Seine Gnaden, Catlett?«
»In der Bibliothek, glaube ich, Mylady.«
Sie stürmte den Korridor zur Bibliothek im rückwärtigen Teil des Hauses hinunter. Flüchtig klopfte sie an und trat ein.
Tarquin blickte von seiner Zeitung auf.
»Habe ich mich ordentlich benommen, Mylord?« fragte sie mit einem sarkastischen Unterton.
Tarquin ließ seine Zeitung sinken und lehnte sich in seinem Sessel zurück. »Ich fürchte, ich habe dich wieder gekränkt. Sag mir, wo mein Fehler liegt, damit ich ihn korrigieren kann.«
Diese Zurschaustellung nachdenklich gestimmter Demut war derart absurd, daß Juliana in schallendes Gelächter ausbrach. »Mir scheint, Sie sind ein hoffnungsloser Fall, Mylord.«
Bevor sie die Unterhaltung fortsetzen konnten, erschien der Butler in der offenen Tür hinter ihr.
»Besuch für Lady Edgecombe. Ich habe Ihre Gäste in
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