Wilde Chrysantheme
Quentin ihr unmißverständlich Einhalt.
»Es wäre wirklich am besten, wenn wir Mr. Garston bitten würden, für uns hinzugehen, Juliana«, warf Emma ein, als sie Juliana zögernd eine Hand auf den Arm legte.
»Tarquin wird mir bei lebendigem Leib die Haut abziehen, wenn ich das erlaube«, erklärte Quentin.
Juliana musterte ihn ruhig. »Ich hatte den Eindruck, daß es mir freistände zu gehen, wohin ich will.«
»Aber nicht ins Hofmarschallgefängnis.«
»Selbst dann nicht, wenn Sie uns begleiten?«
»Juliana, ich habe wirklich nicht das geringste Bedürfnis, mich in ein Schuldnergefängnis zu begeben.«
»Aber Sie sind doch Geistlicher. Sicherlich haben Sie die Pflicht, Ihren in Not geratenen Mitmenschen zu helfen? Und dies
ist
ein Akt der Barmherzigkeit.« Ihre Stimme war ganz liebenswürdige Vernunft, ihr Lächeln ausgesprochen gewinnend, doch Quentin spürte eine unbeugsame Entschlossenheit hinter dem liebreizenden Äußeren.
»Warum folgen Sie nicht dem Vorschlag Ihrer Freundinnen und bitten diesen Mr. Garston, für Sie zu gehen?«
»Weil es zuviel Zeit erfordern würde. Und das arme Mädchen soll nicht eine Minute länger als unbedingt nötig an jenem schrecklichen Ort leiden müssen. Ich habe gehört, daß die Gefängnisaufseher die Insassen foltern, um Geld aus ihnen herauszupressen, obwohl sie doch keinen müden Penny besitzen – denn wenn sie Geld hätten, wären sie ja gar nicht dort gelandet.« Ihre Augen blitzten vor aufrichtiger Empörung, und ihre Wangen waren zornesbleich. »Sie haben die Pflicht, den Verfolgten zu helfen, Lord Quentin. Ist es nicht so?«
»Ja, so heißt es«, stimmte Quentin ihr zu. Er wurde unangenehm daran erinnert, daß er als Kanonikus der Melchester Kathedrale nicht viel Zeit damit verbracht hatte, sich um eine Gemeinde zu kümmern. Allmählich begann er sich zu fragen, warum er sich jemals der Illusion hingegeben hatte, Juliana brauche Schutz und Hilfe. In diesem Moment wirkte sie kaum wie irgend jemandes Opfer.
»Wir haben das Geld«, fuhr sie fort. »Die gesamten vierzig Pfund, die Lucys Schuld ausmachen. Und wenn die Gefängniswärter mehr verlangen, werde ich ihnen gehörig den Marsch blasen!« fügte sie mit funkelnden Augen hinzu. »Wenn wir ihre Erpressungsmethoden dulden, werden sie sie bei jedem anwenden.«
»Zweifellos werden Sie die Wärter zur Räson bringen«, murmelte Quentin. »Mir tut der Mann, der sich Ihnen in den Weg zu stellen versucht, ein wenig leid.«
»Sie klingen schon genau wie der Herzog«, erwiderte Juliana aufgebracht. »So überheblich. Aber ich sage es Ihnen geradeheraus, Mylord, Sie werden mich nicht von meinem Vorhaben abbringen.«
»Es ist richtig, daß ich verpflichtet bin, in Not Geratenen zu helfen.« Sein Mund verzog sich zu einem hintergründigen Lächeln, das ihm sogar noch mehr Ähnlichkeit mit seinem Halbbruder verlieh. »Aber ich habe auch die Pflicht, dafür zu sorgen, daß meine Mitmenschen gar nicht erst in Schwierigkeiten geraten. Und ich versichere Ihnen, meine liebe Juliana, daß Ihnen das Wasser bis zur Halskrause stehen wird, wenn Tarquin Ihren Aufenthaltsort herausfindet.«
Juliana stand auf der obersten Treppenstufe, das Gesicht halb der offenen Tür zugewandt. Aus den Augenwinkeln erhaschte sie einen Blick auf Lucien, der gerade die Eingangshalle in Richtung Salon durchquerte. »Wenn mein Ehemann keine Einwände erhebt, wüßte ich wirklich nicht, warum der Herzog dagegen sein sollte«, sagte sie aus einer plötzlichen Eingebung heraus. »Ich bitte vielmals um Verzeihung, daß ich Sie aufgehalten habe, Lord Quentin. Natürlich werde ich Sie keine Sekunde länger mit dieser Angelegenheit belästigen.«
Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln und wandte sich an die drei jungen Frauen. »Ich bin gleich wieder zurück. Wartet hier auf mich.« Damit stürmte sie ins Haus und ließ Quentin stehen, der ihr voller Unbehagen nachstarrte, noch immer nicht sicher, ob er sie richtig verstanden hatte.
»Oje«, meinte Emma seufzend. »Glauben Sie, daß Juliana ein wenig zu Impulsivität neigt?«
»Ich fürchte, >ein wenig< ist fraglos untertrieben, Madam«, erwiderte Quentin. »Sie hat doch sicherlich nicht vor, sich Edgecombes Unterstützung zu sichern, wie?«
»Es sieht so aus, Mylord«, sagte Rosamund. Ihre braunen Augen wirkten groß und ernst in ihrem runden Gesicht.
»Entschuldigen Sie mich.« Quentin verbeugte sich flüchtig und machte sich auf die Suche nach Tarquin, während die Mädchen auf der Treppe
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