Wilde Flucht
gewesen, ein unbeholfener Teenager, der dabei war, zu einem großartigen, doch unberechenbaren Sportler zu werden, aber schon davon träumte, eine Organisation von Umweltaktivisten aufzubauen, die die Welt verändern würde. Hayden Powell war attraktiv, süffisant und talentiert und hatte gelobt, Stewie und ihre gemeinsame Mission, den Westen zu retten, berühmt zu machen. Obwohl Marybeth die unbedingte Leidenschaft der beiden für Umweltfragen nie geteilt hatte, fühlte sie sich zu ihnen genauso hingezogen, wie es für andere Mädchen ihres Alters spannend war, für Rockstars oder Rodeoreiter zu schwärmen. Stewie und Hayden waren böse Jungs, coole Jungs, wilde Jungs, doch sie hatten ein gutes Herz. Mit ihrem umweltaktivistisch motivierten Vandalismus richteten sie bereits erheblichen Schaden an. Abends mit ihnen etwas zu unternehmen bedeutete in der Regel, Vermessungspfähle für eine geplante Pipeline herauszureißen oder Bulldozerketten zu beschädigen. Obwohl es mehrmals knapp war, wurden die drei nie erwischt.
Und die beiden Jungen liebten sie. Vor allem Stewie. Er war dermaßen in sie verknallt, dass es ebenso peinlich wie schmeichelhaft für sie gewesen war. Nachdem er einmal beim Football einen Pass für die Winchester Badgers abgefangen und den Ball in die Endzone des Gegners getragen hatte, hatte er sich an die gegnerischen Besucher aus Saddlestring gewandt und mit seinen langen Armen M-A-R-Y in die Luft geschrieben, da er wusste, dass sie mit ihren Freundinnen beim Spiel war.
In jenem Sommer hatten die drei fast jeden Abend zusammen verbracht. Sie hatten geangelt, waren ins Kino gegangen, hatten da und dort Sabotageakte für die Umwelt verübt.
Im Herbst war Hayden Powell dann an die Universität von Iowa gegangen, um Kreatives Schreiben zu studieren. Stewie hatte ein Football-Stipendium der Universität von Colorado bekommen, und Marybeth hatte ihr Jurastudium an der Universität von Wyoming aufgenommen, weil sie Firmenanwältin hatte werden wollen. Stattdessen hatte sie Joe Pickett kennen gelernt, einen schlaksigen Studenten im dritten Semester, der leise Töne bevorzugte und dessen Hauptfach Wildtierbiologie war.
Sie hatte die Verbindung zu Stewie Woods und Hayden Powell nicht gehalten, denn die beiden waren gefährlich. Als frischgebackener Jagdaufseher hatte Joe in den ersten neun Jahren seines Dienstes sechsmal umziehen müssen, und so war es ihr recht leichtgefallen, ihre Telefonate zu entbehren und auf die Briefe und Weihnachtskarten zu verzichten, die sie ihr gesandt haben mochten. Da sie bei der Heirat den Namen gewechselt hatte und ihre Mutter eine zweite Ehe eingegangen und nach Arizona gezogen war, wusste Marybeth, dass sie schwer aufzuspüren war. Aber sie hatte von Stewies Heldentaten gelesen und ihn im Fernsehen gesehen. Seine Biografie, die vor sechs Jahren erschienen war, hatte bei der Literaturkritik nur wenig Aufmerksamkeit erregt, und dennoch sofort Kultstatus erlangt. Damals hatten Joe und Marybeth in Buffalo, Wyoming, gelebt, wo Joe seinen ersten richtigen Bezirk als Jagdaufseher gehabt hatte. Marybeth war damals mit Lucy schwanger, Joe machte irrwitzige Überstunden, und Sheridan war vier Jahre alt. Marybeth hätte Stewie Woods’ verwegenen Umweltaktionen oder den literarischen Eskapaden von Hayden Powell damals selbst auf dem Mond nicht ferner sein können.
Vor einem Jahr schließlich hatte sie während ihrer Pausen in der Stadtbibliothek Hayden Powells Biografie von Stewie Woods gelesen. Sie hatte das Buch nicht ausgeliehen oder es mit nach Hause genommen. Stewie hatte seine » erste Liebe, Mary Harris« erwähnt, zum Glück aber den Namen nicht gekannt, den sie seit der Hochzeit trug. Doch sie stand in dem Buch. Und sie musste sich gestehen, dass sie – als es ihr in die Hände gefallen war – zuerst nach ihrem Namen und danach gesucht hatte, was Stewie über sie sagte.
Marybeth vermutete, dass auch der Journalist das Buch gelesen, sie aber – anders als Stewie – ausfindig gemacht hatte. Und nun wollte er von ihr einige Äußerungen für seinen Artikel.
Sie hatte Joe nie von diesem kurzen Abschnitt ihres Lebens erzählt. Es war ihr nicht notwendig erschienen; es hätte Dinge verkompliziert, die zu verkomplizieren nicht nötig gewesen war.
Nun aber musste sie, wie sie fand, mit ihrem Mann reden. Das würde sie tun, wenn er am Abend nach Hause kam. Er verdiente zu wissen, worüber sie sich eine Woche zuvor beim Frühstück so aufgeregt hatte, und er musste von den
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