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Wilde Flucht

Wilde Flucht

Titel: Wilde Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
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machen oder es ihm plausibel hätte erscheinen lassen können.
    Blinzelnd legte er den Kopf in den Nacken. Die Explosion hatte ein Loch in die Kronen gerissen, durch das er den Himmel und zwei einsame Wolken sehen konnte. Hoch an dem Baum über ihm ragte ein kräftiger, völlig entrindeter Ast. Joe trat in den Krater, um ihn sich besser ansehen zu können. Mit der Farbe des toten Asts stimmte etwas nicht. Rindenloses Kiefernholz wurde cremefarben, doch dieser Ast, der wie ein Angelhaken vom Stamm abstand, war kaffeebraun. Er war dick genug, um einen ausgewachsenen Menschen zu tragen. Vor allem, wenn er durch die Kraft einer Explosion in den Baum geschleudert worden war.
    Joe verschränkte die Arme und schüttelte den Kopf. Was er da dachte, konnte gar nicht sein. Und falls es doch so gewesen war, konnten es doch nicht alle Leute, die seit der Detonation hier gewesen waren, übersehen haben. Irgendwer musste irgendwann aufgeblickt haben.
    Er ließ Tagesrucksack und Holster am Fuß des Baums zurück und kletterte an dem Stamm hoch. Münzgroße Rindenschuppen zerrten ihm an Hemd und Jeans, doch es gab genug gesunde Äste, um Füßen und Händen Halt zu bieten. Er kletterte, bis er knapp unter dem toten Ast war, und entdeckte eine Verwachsung, auf die er den Stiefel stützen konnte. An den Stamm geklammert, streckte er sich, bis er mit dem toten Ast auf Augenhöhe war. Sein zweiter Fuß hing in der Luft – so würde er sich nicht lange halten können. Die Muskeln in seinem Oberschenkel begannen schon wehzutun.
    Aus der Nähe betrachtet, war der Ast vor seiner Nase zweifellos dunkel genug, um blutüberströmt gewesen zu sein. Doch er hatte Beweise zu entdecken gehofft – getrocknetes Blut oder Textilfasern. Aber nichts dergleichen. Er hielt sich noch fester am Stamm fest, streckte die freie Hand aus und versuchte, den Ast abzubrechen. Aussichtslos. Mit den Fingernägeln bemühte er sich, etwas von dem gedunkelten Holz abzukratzen, um es untersuchen zu lassen. Doch der Ast war zu hart, und Joe hatte auch kein Werkzeug dabei, um einen Splitter herauszuschlagen. Sein Bein begann zu zucken, und die Muskeln in Oberschenkel und Wade taten furchtbar weh. Um die Anstrengung zu mindern und sein Gleichgewicht zu verbessern, ergriff er den Ast und drückte die Wange an den Stamm.
    Plötzlich hörte er über sich lautes Flattern. Das Geräusch erschreckte ihn und hätte ihn beinahe den Halt verlieren lassen. Er blickte auf und sah einen riesigen schwarzen Raben vor sich, der nur Zentimeter von seiner Hand entfernt gelandet war. Der Rabe musterte ihn mit scharfen, ebenholzschwarzen Augen und schob sich den Ast entlang, bis eine seiner Krallen Joes Hand berührte. Der Vogel starrte ihn an, und er starrte zurück. Er hatte noch nie einen Raben aus solcher Nähe gesehen und fand es beachtlich, wie unbeweglich und glänzend seine Augen waren. Der Schnabel war am Ende leicht hakenförmig und ähnelte mattschwarzem Rohstein. Die Federn waren so schwarz, dass sie blau schimmerten – wie das Haar von Superman im Comic.
    Dann schlug der Rabe ihm den Schnabel in den Handrücken. Reflexartig ließ Joe den Ast los, was ihn aus dem Gleichgewicht brachte und den Stiefel von seiner Stütze rutschen ließ. Im Fallen hörte er sein Hemd über die Rinde scheuern und spürte die Hosenbeine bis zu den Knien hinaufrutschen. Ein kräftiger Ast, der ihm beim Hochsteigen willkommenen Halt gegeben hatte, traf ihn nun unterm Arm und drehte ihn in die Waagrechte. So rauschte er durchs Zweigwerk eines weiteren Asts, ehe er mit dem Rücken hart am Fuß des Baums landete, während seine Knie den Stamm wie eine Geliebte umschlangen.
    Als Joe wieder normal atmen konnte, öffnete er die Augen. Kleine orangefarbene Pailletten trieben mit den Wolken über den Himmel. Er prüfte seine Glieder und stellte fest, dass er sich nichts gebrochen hatte. Sein Rücken tat weh, der Rabe hatte ihm den Handrücken an den Fingerknöcheln blutig aufgepickt, und Hemd und Hose waren verrutscht und zerrissen. Die Innenseite seiner Schenkel war aufgeschürft, und seine Schienbeine waren zerkratzt. Doch ansonsten war er wohlauf.
    Behutsam rollte er sich zur Seite, setzte sich auf und erhob sich vorsichtig. Er war auf seinem Hut gelandet, den er nun aufhob, um ihn auszubeulen. Unter Schmerzen sah er erneut zu dem toten Ast hinauf. Der Rabe saß noch immer dort oben und starrte kalt zurück.
    » Alles in Ordnung?«, fragte jemand von der anderen Seite des Kraters. Die Stimme ließ Joe

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