Wilde Flucht
zusammenfahren, und er drehte sich um. » Sie haben beim Runterfallen echt viel Krach gemacht. Wir dachten schon, ein Baum stürzt um oder so.«
Es waren Raga und Tonk, die beiden Camper, denen er in der Woche zuvor begegnet war. Sie waren gerade auf dem Pfad aufgetaucht. Beide trugen Tagesrucksäcke.
» Mir geht’s gut. Sind Sie noch immer hier?«, fragte er zurück. » Wollten Sie nicht nach Kanada oder so?«
Raga stützte sich auf einen Wanderstab. » Dort waren wir schon. Jetzt sind wir wieder da.«
» Wo ist die Frau, die mit Ihnen unterwegs war?«, wollte Joe wissen.
Raga und Tonk tauschten einen Verschwörerblick, gaben Joe aber keine Antwort.
» Haben Sie von Hayden Powell, dem Schriftsteller, gehört? Sein Haus im Staat Washington ist abgebrannt«, erwiderte Raga kühlen Blicks. » Diesmal wurde die Leiche gefunden.«
Joe hatte den Namen Hayden Powell mal irgendwo gehört, wusste ihn aber nicht zuzuordnen und hatte auch von dem, was ihm zugestoßen war, noch nichts erfahren.
» Bis zur Unkenntlichkeit verkohlt«, ergänzte Tonk, um dem Bericht Nachdruck zu verleihen.
» Erst hat es also Stewie, dann Hayden erwischt«, fuhr Raga fort, und in seiner Stimme lag wohldosierte Ironie. » Ich frage mich, wer als Nächster dran ist.«
Joe setzte seinen zerbeulten Hut auf. » Sie beide mögen Verschwörungstheorien, stimmt’s?«
Raga lächelte höhnisch und wies auf den Krater. » Die Leute, die das getan haben, werden wiederkommen. Ich hoffe, dass Sie dann auf sie vorbereitet sind.«
Joe versuchte, aus den Mienen der beiden schlau zu werden. Raga lächelte noch immer höhnisch, und Tonk gab mit einem Nicken zu verstehen, dass er Ragas Ansicht teilte.
» Wissen Sie etwas, das Sie mir sagen sollten?«, fragte Joe.
Raga schüttelte langsam den Kopf. » Sie werden zurückkommen«, sagte er bloß.
10
Auf dem Heimweg überquerte Joe die Twelve Sleep River-Brücke und fuhr durch Saddlestrings verschlafenes Zentrum, das sich nur drei Blöcke weit erstreckte. Die Innenseite seiner Schenkel und die Handflächen taten ihm von dem Sturz noch weh, und er spürte einen dumpfen Schmerz im Nacken. Doch am schlimmsten war sein verbeulter Hut. Es war kurz nach fünf, die meisten Geschäfte waren bereits geschlossen, und die Straße war praktisch frei von Verkehr. Nur vor den beiden Kneipen in der Hauptstraße parkten wild durcheinander Pkws und Pick-ups.
Saddlestring, das zwei Jahre zuvor am Beginn eines Erdgaspipelinebooms gestanden hatte, den Joe unabsichtlich mit vereitelt hatte, war wieder zu einem Ort geworden, den manche als » unveränderlich und ländlich«, andere als » so gut wie tot« empfanden. Die Wiederentdeckung des ausgestorben geglaubten Miller-Wiesels hatte eine Touristenflut gebracht, während traditionelle Erwerbszweige wie Holzindustrie und Bergbau geschlossen hatten und das abgelegene Gebiet der Bighorns nun mehr oder weniger als Biotop dieser Tierart bekannt war. Streitereien zwischen verschiedenen Behörden verzögerten noch immer die offizielle Erhebung der Gegend zum Ökosystem. Unterdessen war die letzte Kolonie von Miller-Wieseln, die Cold Springs-Familie, ausgestorben. Zwar wusste Joe noch von einer weiteren Kolonie, doch deren Vorkommen blieb ein zwischen Sheridan und ihm liebevoll gehegtes Geheimnis, über das die beiden fast nie sprachen. Wissenschaftler, Biologen und Ökotouristen kamen nicht mehr, um zu sehen, wo die Tiere, die » die Nation in Atem hielten«, einst gelebt hatten, doch Stadt und Tal kamen mühsam über die Runden. Einmal mehr wurde Saddlestring von Auswärtigen kaum wahrgenommen.
Joe hielt an der Ecke, ehe er in die Bighorn Road bog. Auf der anderen Seite der Kreuzung standen zwei Häuser, deren Geschäftsfronten noch aus der Zeit des alten Westens stammten und wo es links Westernmode zu kaufen gab, während rechts ein Tierpräparator arbeitete. Die Werkstatt dieses Dermoplastikers war insofern eine Seltenheit, als sie im ganzen Norden der Rocky Mountains derart angesehen war, dass sie das ganze Jahr über geöffnet hatte. Die meisten Werkstätten schlossen für drei oder vier Monate und öffneten erst wieder zu Beginn der Jagdsaison. Matt Sandvick, der Präparator, hatte für seine Arbeit Dutzende von Preisen gewonnen und war besonders bei reichen Jägern gefragt. Zusätzlich zu Elchen, Wapitis, Pronghorns und anderem Hoch- und Federwild Wyomings präparierte er oft Tiger, Braunbären aus Alaska und andere exotische Tiere aus aller Welt. Er war der
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