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Wilde Flucht

Wilde Flucht

Titel: Wilde Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
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Dermoplastiker reicher, auf ihren sozialen Rang bedachter Leute.
    Genau darum schaltete Joe den Blinker wieder aus, fuhr über die Kreuzung und parkte seinen Pick-up am Bordstein. Seit Tagen hatte er an Matt Sandvicks Arbeit gedacht. Joe war nie einem besseren Präparator begegnet. Ein von Sandvick präparierter Kopf hatte eine klare, natürliche Einfachheit, die das Tier lebendig erscheinen ließ. Seine Schöpfungen waren raffiniert, wirkten aber hoheitlich und beeindruckten ihre Bewunderer, zu denen auch Joe gehörte. Und das hatte ihn dazu veranlasst, sich etwas zu fragen.
    Wie üblich war niemand im Laden, als Joe das Geschäft betrat. Unter einer Glasscheibe auf der Verkaufstheke lagen Dutzende Fotos von Jagdtrophäen, und über der Tür, die in die Werkstatt führte, hing ein mächtiger, die Wand beherrschender Elchkopf. Joe drückte die Klingel neben einem Regal voller Broschüren und Preislisten und wartete.
    Matt Sandvick war ein kleiner, kräftiger Mann mit kurzen roten Haaren und dicker Hornbrille. Er kam aus seiner Werkstatt und trocknete sich die Hände mit einem fleckigen Tuch ab. Joe war mehrmals in der Jagdzeit in seinem Geschäft gewesen, um sich zu vergewissern, dass die Jäger alles Wild, das sie zum Präparieren gaben, vorschriftsmäßig etikettiert hatten. Sandvick war ein handwerksstolzer Mann, und sie waren gut miteinander ausgekommen.
    » Was ist Ihnen denn passiert?«, fragte Sandvick und bekam große Augen, als er Joe mit zerrissenem Hemd, blutiger Hand und zerbeultem Hut sah.
    Joe suchte nach einem flotten Spruch, doch ihm fiel nichts ein.
    » Bin vom Baum gefallen«, sagte er und lächelte etwas verlegen.
    Sandvick unterdrückte ein Lachen. » Ah ja«, sagte er gedehnt, um seinen Unglauben zum Ausdruck zu bringen.
    » Freuen Sie sich schon auf die Jagdsaison?«, fragte Joe gutnachbarlich.
    » Na sicher«, erwiderte Sandvick nickend. » Gegenwärtig ist wenig los. Nur ein paar Fische. Ich präpariere gerade eine schöne, fünfundfünfzig Zentimeter lange Cutthroat-Forelle. Wollen Sie sie mal sehen?«
    Joe schüttelte den Kopf und pflichtete Sandvick bei, fünfundfünfzig Zentimeter seien viel für so eine Forelle. Matt, dachte er – was ich jetzt machen werde, tut mir leid.
    Dann fragte er: » Sie erinnern sich doch noch an den großen Wapitibullen, den Sie letztes Jahr für Jim Finotta präpariert haben? Hatte das Geweih nicht zweimal acht Enden?«
    » Auf der einen Seite waren es neun, auf der anderen sieben«, berichtigte ihn Sandvick. » So was hatte ich noch nie gesehen.«
    » Ich könnte schwören, es waren zweimal acht Enden«, sagte Joe und sah ihn zweifelnd an. » Ich hab das Geweih erst vor ein paar Wochen in seinem Arbeitszimmer gesehen.«
    » Nein«, entgegnete Sandvick, » ich beweise es Ihnen.« Er schob die Brille bis zur Nasenwurzel hinauf, musterte die Fotos unter der Glasscheibe des Tresens und legte den Zeigefinger auf ein Bild, das Finottas Jagdtrophäe zeigte, als sie noch in der Präparierwerkstatt gewesen war. Joe beugte sich etwas steif vor, um das Bild besser zu sehen.
    » Alles in Ordnung?«, fragte Sandvick.
    » Mein Rücken tut vom Sturz weh«, sagte Joe abgelenkt. Er musterte das Foto. An der einen Geweihstange waren neun, an der anderen sieben Enden zu sehen – wie Sandvick gesagt hatte. Und rechts unten trug die Aufnahme ein winziges Datum: den 21. September.
    » Tatsächlich«, gab Joe zu. » Sie hatten völlig Recht.«
    » Das war ein richtig großes Tier«, sagte Sandvick, doch seine Stimme klang nun anders. Joe blickte auf. Der Präparator sah ihn so aufmerksam an, dass seine Lider fast zugekniffen waren. Und in seinen Augen stand Furcht.
    » Sie waren mit dieser Trophäe am 21. September fertig«, sagte Joe. » Die Saison für die Gewehrjagd beginnt aber erst am 15. Oktober. In Ihren Broschüren steht, einen Kopf zu präparieren dauert mindestens acht Wochen. Wann hat er ihn also vorbeigebracht? Im Juli? Oder schon im Juni?«
    Sandvick wurde blass und bekam große Augen. Er war ertappt. Ein Präparator, der an einem Wildtier arbeitete, das nicht von Papieren begleitet war, aus denen hervorging, dass es rechtmäßig erlegt worden war, konnte nicht nur den Gewerbeschein verlieren und Berufsverbot bekommen, sondern auch zu Gefängnis oder einer Geldstrafe verurteilt werden. Matt Sandvick war sich dessen wohlbewusst. Genau wie Joe Pickett.
    » Im Juli oder schon im Juni?«, wiederholte Joe nicht unfreundlich.
    » Vielleicht sollte ich meinen Anwalt anrufen

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