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Wilde Flucht

Wilde Flucht

Titel: Wilde Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
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Moment lang dachte er, wie leicht es wäre, ihm jetzt von hinten eine Kugel in den Leib zu jagen – genau ins Rückgrat, zwischen die Schulterblätter. Dann bedachte er, dass das Pferd bei seinem Schuss durchgehen und dass er Tibbs auch ohne Grund verfehlen könnte. In beiden Fällen – das war ihm klar – wäre sein Leben vorbei.
    Der Alte hatte sich im wahrsten Sinne des Wortes eine Grenze überschreiten gespürt und gemerkt, dass er böse geworden war. Das war ihm vollkommen klar. Es gab nichts, wodurch er sich wieder wirklich würde reinwaschen können. Doch er konnte das Töten – zumindest vorläufig – beenden. Das tat er nicht für Stewie Woods oder Hayden Powell oder Peter Sollito oder Emily Betts oder Tod Marchand. Er mochte noch immer nicht, wofür jeder Einzelne von ihnen stand. Er tat es für sich selbst.
    Irgendwann und irgendwo würde er sich für die Taten der letzten beiden Monate verantworten müssen. Und dann wollte er dem Inquisitor doch wenigstens von einer guten Sache berichten können.
    Er bewegte sich im Sattel und rieb sich den rechten Oberschenkel. Die Schlüssel für Marchands grünen Mercedes Geländewagen, die der Alte auf dem Zeltplatz am Nez Perce Creek gefunden hatte, bildeten einen harten kleinen Ball in seiner Tasche.

21
    Früh am Samstag beendete Joe Pickett den monatlichen Report für seinen Vorgesetzten Trey Crump und erstattete darin pflichtgemäß Bericht über den Stand der Angelegenheit Jim Finotta. Nachdem er das Schätzergebnis des Wapiti-Bestands und die Zahl der von ihm ausgestellten Gerichtsvorladungen aufgeführt hatte, schrieb er am Ende des Reports, er habe Grund zu der Annahme, jemand, der sich für den militanten Umweltschützer Stewie Woods ausgebe, halte sich irgendwo in den Bighorns in einer abgelegenen Hütte versteckt, und er wolle dieser Vermutung noch am gleichen Tag nachgehen.
    Als der Bericht fertig war, hängte er ihn an eine Mail und sandte ihn an Crumps Büro in Cody.
    Joe rollte den Schreibtischstuhl zurück und verließ sein winziges häusliches Arbeitszimmer. Lucy und April waren bereits zum kirchlichen Wochenendzeltlager abgeholt worden, und nur die zehnjährige Sheridan – die am Wochenende darauf mit Kindern ihres Alters ins Zeltlager fahren würde – saß vor dem Fernseher, sah die morgendlichen Trickfilme und genoss ihre Einsamkeit.
    Marybeth kam die Treppe herunter. Joe blieb stehen, sah sie an und stieß einen Pfiff aus. Sie winkte ab. Sie war schon im Stall gewesen, um die Pferde zu füttern, war zurückgekehrt, hatte geduscht und sich umgezogen. Sie hatte das Haar hochgebunden und trug eine weiße Bluse und eine khakifarbene Faltenhose. Sie würde heute bis um drei Uhr in der Bibliothek arbeiten. Sie wirkte besorgt.
    » Hast du noch immer vor, heute diese Hütte zu finden?« Joe fiel auf, dass sie nicht » Stewie« oder » Stewies Hütte« sagte. Und sie sprach so leise, dass Sheridan sie von nebenan nicht hören konnte.
    » Ich fahre, sobald ich hier fertig bin«, erwiderte er.
    Sie traf ihn am unteren Treppenabsatz und blieb auf der letzten Stufe stehen. » Es gefällt mir nicht, dass du allein dort hochfährst.«
    Er legte die Hände auf ihre Hüften. » Hast du Angst, ich gebe ihm eins auf die Schnauze? Das könnte durchaus sein.«
    » Joe, ich scherze nicht. Er erwartet mich, und wenn du auftauchst … na, wer weiß?«
    Joe musterte sie. » Du siehst gut aus heute«, sagte er. » Wann musst du in die Bibliothek?«
    » Dafür bleibt keine Zeit.« In ihr Gesicht trat eine gewisse Verzweiflung. » Ich scherze nicht, Joe. Es ist keine gute Idee, dass du dich ohne Verstärkung in die Berge aufmachst, und das weißt du.«
    Joe dachte kurz darüber nach.
    » Du lässt deine Urteilskraft von Gefühlen trüben«, sagte Marybeth. » So kenne ich dich gar nicht.«
    Das musste Joe zugeben. » Ich rufe Sheriff Barnum an.«
    Sie nickte. » Gut.«
    » Und ich lass die Sache über Trey in Cody laufen.«
    » Noch besser.«
    Er trat beiseite, damit Marybeth an ihre Tasche und an ihren Proviantbeutel für die Arbeit in der Bibliothek kam.
    Bevor sie ging, schlang sie ihm die Arme um den Hals und küsste ihn innig. Es war viel mehr als bloß ein morgendlicher Abschiedskuss.
    » Ich hab dich noch nie eifersüchtig erlebt, Joe, und missversteh mich nicht, aber … es ist schmeichelhaft«, sagte sie und hielt sein Gesicht nur Zentimeter von dem ihren entfernt. » Doch du hast nichts zu befürchten. Du bist schließlich mein Mann.« Dann lächelte

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