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Wilde Flucht

Wilde Flucht

Titel: Wilde Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
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Marchands Geschrei hatte so plötzlich aufgehört, dass es noch wie ein verirrter Geist in der Luft zu hängen schien. Ein kräftiger Schlag mit der Tatze hatte seinen Rumpf durch die Luft gewirbelt. Die Kraft von Bären war beängstigend.
    » Jetzt fressen sich die Jungtiere satt«, sagte Charlie Tibbs und senkte das Fernglas. » Wäre schade, wenn die beiden den Anwalt mit Haut und Haar verspeisen würden und niemand ihn dort draußen fände.«
    Seit sie am Morgen losgeritten waren, hatte er Tod Marchand immer nur als » den Anwalt« bezeichnet und seinen Namen kein einziges Mal verwendet.
    Dem Alten war schlecht. Er hatte auf Dörrfleisch und Eistee verzichtet und gesagt, er glaube, eine Grippe zu bekommen.
    » Es wäre wirklich jammerschade, wenn die Leute nur vom Verschwinden des Anwalts hören und nicht erfahren würden, dass die Grizzlys, die er gerettet hat, ihn aufgefressen haben«, sagte Tibbs.
    » Das hab ich bereits verstanden«, entgegnete der Alte gereizt.
    Tibbs’ Miene konnte auf eine Art ausdruckslos werden, die schon viele zermürbt hatte. Im Moment zermürbte sie den Alten.
    » Mir gefällt das einfach nicht, Charlie«, sagte er.
    » Das ist nur das Werk der Natur«, erwiderte Tibbs, und seine Miene belebte sich wieder.
    Das sind das Werk der Natur und das Verdienst von zwei Kilo Speck, dachte der Alte.
    » Soweit ich sehe, haben die Jungtiere das Rosshaar sofort verschlungen«, sagte Tibbs und spähte noch immer durchs Fernglas. » Niemand wird je herausfinden, dass er gefesselt war.«
    » Wer sich wohl als Stewie Woods ausgibt?«, fragte Tibbs plötzlich und senkte das Fernglas. Es war so dunkel geworden, dass der Alte die Bären auf der Lichtung nicht mehr deutlich zu erkennen vermochte, doch er wusste, dass Tibbs’ Fernglas das restliche Licht sammelte und er noch immer gut sehen konnte. Zudem hatte er ein Nachtsichtglas in der Satteltasche. » Wer es auch ist – er hat den Anwalt in eine heikle Lage bringen wollen.«
    Es war so still, dass der Alte die Bären fressen und Knochen krachen hören konnte.
    » Wer würde so etwas tun?«, fragte er. Sein Mund war trocken, und das Sprechen fiel ihm schwer. Falls Tibbs wusste, was er gerade gedacht hatte, war er in Gefahr – das war klar.
    » Keine Ahnung«, sagte Tibbs achselzuckend.
    » Wir haben den Anschlag auf Stewie Woods doch nicht verbockt, oder?«
    Tibbs schnaubte. Diese Frage war unter seinem Niveau.
    Von der Lichtung hörten sie, wie die Bärenjungen sich um etwas balgten.
    » Diese Schlagzeile gefällt mir: › Großer Bärenretter im Yellowstone-Park von Grizzlys gefressen‹«, meinte Tibbs.
    » Tja«, sagte der Alte und vermied damit Zustimmung oder Ablehnung. Er stand langsam auf.
    » Charlie, wie lange willst du hier noch warten?«
    » Ein paar Stunden. Nur um mich zu überzeugen.«
    » Wovon?«
    Tibbs antwortete nicht. Lange genug, damit du alles siehst, was es zu sehen gibt, dachte der Alte.
    » Ich könnte zurückreiten und im Wagen etwas schlafen. Mein Magen schlägt Purzelbäume, und ich hab mir vermutlich eine Grippe oder so was eingefangen.«
    Tibbs sah ihn an. Der Alte war froh, dass es beinahe finster war, wusste aber, dass er dennoch elend aussah.
    » Sich zu trennen ist keine gute Idee«, sagte Tibbs.
    » Ich weiß«, erwiderte der Alte. » Aber es ist auch keine gute Idee, morgen die Suche nach dem Hochstapler aufzunehmen, wenn ich mich dann noch so fühle wie jetzt. Ich brauche ein wenig Rast.«
    Er spürte, wie Tibbs diesen Einwand erwog. Dann wandte dieser sich wortlos wieder den Bären zu.
    » Bis demnächst«, sagte der Alte. » Ich streck mich bloß mit ein paar Decken im Pferdehänger aus. Vergiss nicht, mich zu wecken.«
    Tibbs sagte nichts. Sie wussten beide, dass der Alte sich nicht absetzen würde, sondern in dieser Sache steckte, bis Charlie ihn gehen ließe. Tibbs hatte die Wagenschlüssel, der Alte hatte nie eigene gehabt. Tibbs bot sie ihm auch jetzt nicht an, und der Alte fragte nicht danach. Auch wussten sie, wie unwahrscheinlich es war, dass der Alte mit dem Pferd fliehen wollte. Charlie war im Reiten und Spurenlesen mindestens doppelt so gut wie er und hätte ihn binnen weniger Stunden eingeholt.
    Der Alte saß auf, als er sicher war, dass sein Pferd sich beruhigt hatte und wegen der Bären nicht durchgehen würde. Das Tier war noch immer verschreckt, gehorchte ihm aber.
    Ehe er losritt, blickte er sich um und sah Charlies breiten Rücken und das über den Schultern spannende Hemd im Mondlicht. Einen

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