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Wilde Flucht

Wilde Flucht

Titel: Wilde Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
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Klingel drückte.
    Sheridan hatte eingeschärft bekommen, Fremden nie die Tür zu öffnen, und sie war nur selten versucht, dies zu tun. Seit vor zwei Jahren ein Mann ins Haus eingedrungen war und ihre Mutter schwer verletzt hatte, war sie überaus vorsichtig.
    Oft kamen Leute, um ihren Vater zu sprechen, weil er sein Büro daheim hatte. Manchmal tauchten Rancher auf, um Schadensmeldungen auszufüllen oder sich über Jäger oder Angler zu beschweren, und manchmal kamen Jäger oder Angler, um sich über Rancher zu beschweren. Ihr Vater bat die Leute stets, erst anzurufen und einen Termin zu vereinbaren, aber mitunter standen sie einfach vor der Tür. Da ihr Vater im Dienst der Allgemeinheit stand, hatten ihre Eltern Sheridan gesagt, sie solle höflich sein und die Telefonnummer notieren, unter der ihr Vater zurückrufen könne, falls sie allein zu Hause sei und jemand vorbeikomme.
    Sie band den Bademantel fest zu, ging ans Fenster, schob die Vorhänge beiseite und spähte hinaus.
    Ein älterer, birnenförmig beleibter Mann stand auf der Veranda. Sein Gesicht war rund, feist, rot und unrasiert. Er trug einen flachen, grauen Cowboyhut, eine verwaschene Leinenjacke und blaue Jeans. Abgewetzte Schnürstiefel mit Reitabsätzen sahen aus seinen Hosenbeinen hervor. Sheridan achtete immer auf die Stiefel, weil sie – ihrer Meinung nach – mehr als alles andere verrieten, mit was für einem Mann sie es zu tun hatte.
    Er stand abwartend an der Tür. Seine Schultern hingen herab, und sein Kopf war vorgebeugt, als wäre er sehr müde. Sie blickte durch den Vorgarten und sah das Dach eines Wagens über dem Zaun, konnte aber nicht sagen, um was für ein Auto es sich handelte. Als der Mann ihren Blick spürte, wandte er den Kopf zu ihr um und bemerkte, dass Sheridan ihn musterte. Er lächelte sie verlegen an. Sheridan fand, er habe ein freundliches Gesicht und wirke wie ein Großvater.
    Dennoch überzeugte sie sich, dass die Kette vorgelegt war, ehe sie die Tür die wenigen Zentimeter öffnete, die die Kette zuließ.
    » Ist dein Vater hier der Jagdaufseher?«
    Ein Holzschild am Zaun besagte genau das, doch Fremde bemerkten es oft nicht oder wollten es nicht wahrhaben.
    » Ja«, sagte Sheridan. » Im Moment ist er nicht da, aber er kommt bald zurück.« Diese absichtlich vage Formulierung hatte ihre Mutter ihr eingetrichtert.
    Der Mann schien nachzudenken. Er runzelte die Stirn und strich sich übers Kinn.
    » Es ist wichtig«, sagte er und blickte auf. » Wie bald wird er zurück sein?«
    Sheridan zuckte die Achseln.
    » Meinst du, es dauert nur ein paar Minuten oder eher einige Stunden?«
    Sheridan sagte, das wisse sie nicht.
    Der Mann schaukelte auf den Stiefelabsätzen und grub die Hände in die Vordertaschen seiner Jeans. Er wirkte verärgert und besorgt, aber weniger wegen Sheridan als wegen der Lage insgesamt. Sie war ihm keine große Hilfe gewesen, denn sie würde nur sagen, was die Eltern ihr eingeschärft hatten – nicht mehr.
    » Ich kann Ihnen seine Handynummer geben«, bot Sheridan an. » Und falls es ein Notfall ist, können Sie 911 wählen und die Telefonistin bitten, ihm über Funk Bescheid zu sagen.« Sie wollte ihm behilflich sein.
    Der Mann reagierte nicht.
    » Ich schätze, du darfst mich nicht reinlassen, damit ich auf ihn warte?«
    » Nein«, sagte Sheridan ungerührt.
    Der Mann lächelte leicht. Er hatte offenkundig mit dieser Antwort gerechnet.
    » Wenn ich eine Nachricht hinterlasse – sorgst du dann dafür, dass er sie bekommt?«
    » Klar.«
    » Bin sofort zurück.«
    Der Mann lief durch das Palisadenzauntor zu seinem Wagen zurück. Sheridan ging ins Büro ihres Vaters, nahm eine Visitenkarte aus dem Halter auf dem Schreibtisch und wartete an der Haustür. Dann sah sie den Mann aus dem Auto steigen. Als er durchs Tor trat, leckte er einen Umschlag zu.
    » Das ist seine Visitenkarte«, sagte Sheridan, hielt sie ihm hin und bekam im Gegenzug den Umschlag durch den Türspalt gereicht.
    Die Handschrift des Mannes war zittrig und schlecht, doch sie konnte » Für den Jagdaufseher« und das dreimal unterstrichene » Wichtig« entziffern. Dann drehte sie den Umschlag um.
    » Sind Sie Anwalt?«, fragte sie, denn als Absender war die Kanzlei Whelchel, Bushko & Marchand in Denver, Colorado, aufgeführt.
    Als der Mann sie ansah, lag etwas sehr Trauriges in seinem Blick.
    » Nein. Ich hab mir das Papier nur geliehen.«
    » Gut.«
    » Gib deinem Vater den Umschlag unbedingt gleich bei seiner Rückkehr, kleine

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