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Wilde Flucht

Wilde Flucht

Titel: Wilde Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
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des fernen Autoverkehrs, und stattdessen strich ein leichter, warmer Wind leise durch die Baumkronen. Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand sie hier sah oder dass sie jemandem begegneten, war gering.
    Dennoch war der Yellowstone-Park für den Alten ein beunruhigender Ort, um seinem Gewerbe nachzugehen. Trotz unvernünftiger Forderungen von Umweltschützern und der Misswirtschaft der Bundesregierung war Yellowstone seiner Meinung nach etwas Besonderes und irgendwie unantastbar. Es hatte sich einfach falsch angefühlt, mit einem geknebelten und gefesselten Anwalt auf dem Pferd durch die Drehkiefern zu reiten.
    Sie waren den Hang hinabgeritten, bis die Bäume sich lichteten und der Bach sich zwischen hohen, erodierten Ufern durchwand. Dort hatten sie die Pferde trinken lassen. In diesem Moment hatten sie weiter oben ein Klatschen gehört, irgendwo oberhalb des Steilufers und außer Sichtweite. Sofort hatte Charlie Tibbs sein großes Remingtongewehr aus dem Sattelfutteral gezogen. Der Alte hatte nach seiner Pistole genestelt.
    Binnen zwei Minuten war das Wasser des Bachs mit treibenden Federn bedeckt gewesen, die auf dunklen Wirbeln einer öligen Flüssigkeit schwammen. Sie sahen die Federn an ihnen vorbeischwimmen. Es war, als sei kaum hundert Meter entfernt eine Ente auf dem Wasser explodiert.
    Beide Pferde hatten zu wiehern und verrückt zu spielen begonnen. Als das Tier des Alten sich aufbäumte und sich dorthin wandte, woher sie gekommen waren, hatte er es mit kräftigem Griff in die Zügel gezwungen, sich wieder dem Wasser zuzuwenden. Der Alte wusste, dass selbst erfahrene Pferde durchgehen konnten, wenn Bären ihnen so nah waren.
    Sie hatten sich eilends in den Wald zurückgezogen, die Pferde angebunden und sie zu beruhigen versucht. Der Anwalt war auf dem Boden gelandet, als das Pferd des Alten sich vor Schreck aufgebäumt hatte, doch Charlie hatte wohl Recht mit der Bemerkung gehabt, das habe er ohnehin nicht mehr gespürt. Bewaffnet waren sie wieder hinunter zum Bach gegangen und hatten vorsichtig das Steilufer erklommen. Sie hörten gedämpftes Brummen und Rumoren, und dann sahen sie die Grizzlys – eine Bärenmutter und ihre beiden Jungen. Das Weibchen hatte ein hellbraunes, schimmerndes Fell und einen markanten Buckel. Ihre Schnauze steckte tief in der verrottenden Borke eines umgestürzten Baums, in dem sie nach Insektenlarven stöberte. Die Bärenjungen, die bereits jeweils gut fünfzig Kilo wogen, waren weiter abwärts am Stamm und fegten mit trägen Prankenschlägen Rinde vom Baum. Die Ente hatte offensichtlich nicht lange vorgehalten.
    Tod Marchand lehnte an einem Stamm, als er das Bewusstsein wiedererlangte. Der Alte und Charlie hatten ihn über den Bach und eine sumpfige Wiese in den Wald auf der anderen Seite des Hangs geschleppt. Die Bären waren auf ihrer Seite des Bachs geblieben. Das Erste, was Marchand nach seinem Erwachen tat, war, seitwärts ins Gras zu sinken und sich zu übergeben. Als er damit fertig war, half der Alte ihm, sich wieder aufzusetzen und sich an den Stamm zu lehnen. Es dauerte einige Zeit, bis Marchand einigermaßen klar wirkte.
    Der Alte musterte ihn, während er wartete, dass der Anwalt gänzlich zu Bewusstsein kam. Marchand war, wie er fand, ein in jeder Hinsicht gut aussehender Mann: Er war groß und trug das volle, blonde Haar auf raffinierte Weise nach hinten gekämmt – eine zweifellos teure Frisur. Zudem war er braungebrannt und fit und wirkte viel jünger als seine dreiundfünfzig Jahre.
    Natürlich kannte ihn der Alte von Zeitungsfotos und hatte ihn mehrmals in den Fernsehnachrichten gesehen. Tod Marchand war der erfolgreichste Umweltanwalt der USA und hatte viele Verfahren gewonnen. Er war der federführende Anwalt in dem fünfjährigen Verfahren gewesen, durch das die Nationalparkverwaltung gezwungen worden war, mehrere Wohnmobilparkplätze aufzulösen, weil sie in einem Gebiet lagen, das als primärer Lebensraum von Grizzlys galt. Übrigens lag diese Zone nur fünfzehn Kilometer von dem Ort entfernt, an dem Marchand gezeltet hatte.
    Der Alte erinnerte sich noch gut an ein Foto des Anwalts, das ihn vor dem Bundesberufungsgericht in Denver im Gespräch mit Journalisten zeigte, nachdem er einen Baustopp für eine im Süden von Wyoming für viele Millionen Dollar geplante Goldmine erreicht hatte.
    » Gold ist eine Frage der Wahrnehmung«, hatte er den Journalisten gesagt. » Für viele von uns bedeutet Gold eine unbehelligte Tierwelt in unbehelligter

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