Wilde Leidenschaft, zärtliches Glück
großen Rasenfläche vor der Ranch und sah sich nicht ohne Rührung um. Hier war er aufgewachsen. Im Kern war das Haus über hundertfünfzig Jahre alt. Der erste Pruitt, der hierhergekommen war, hatte es errichtet – noch zu Lebzeiten von Sam Houston, dem ersten Präsidenten der damaligen Republik Texas.
Inzwischen war es in Holz- und Steinbauweise immer wieder vergrößert und modernisiert worden und erstreckte sich nun verwinkelt weit über das Gelände.
Seine Mutter hatte ihm erzählt, dass es ihr beim ersten Besuch wie ein verwunschenes Cottage erschienen war. Dieser Eindruck wurde noch durch einen Turm verstärkt, den sein Vater ihr zu Ehren hatte anbauen lassen.
Unwillkürlich sah Rick zum Fenster ihres Lieblingszimmers, als erwartete er, sie jeden Moment dort auftauchen zu sehen. Dass das nie wieder geschehen würde, stimmte ihn unendlich traurig.
Bei ihrem Tod war er nicht hier gewesen. Er hatte sich nicht von ihr verabschieden können. Das würde ihm niemals Ruhe lassen.
Hatte er für den Dienst an seinem Land zu viel aufgegeben? Sollte er anderen die Pflichten überlassen, die er schon so lange gewissenhaft erfüllte?
Schwer zu sagen. Welcher Stimme seines Herzens sollte er den Vorrang geben?
Überhaupt bedeutete sein Heimaturlaub für ihn Segen und Fluch zugleich. Es machte ihn glücklich, hier auf der Ranch zu leben, aber der Gedanke, sie schon bald wieder verlassen zu müssen, war ein Wermutstropfen.
„So nachdenklich, Rick?“
Er drehte sich um und sah John Henry auf sich zukommen.
John, ein sonnengebräunter Mann über sechzig, war schlank und von aufrechter Haltung wie ein Zwanzigjähriger. Sein Haar war von silbernen Strähnen durchzogen, und ein dichter weißer Schnurrbart bedeckte die Oberlippe. Um die klaren blauen Augen hatten sich vom Blinzeln in den hellen texanischen Himmel tiefe Fältchen gebildet.
Seit Rick denken konnte, gehörte John zur Ranch. Sogar mehr als er selbst. Denn während er um die Welt gereist war und sich um die Belange anderer gekümmert hatte, war John die ganze Zeit über hiergeblieben, um die Geschäfte zu führen.
„Ja, es gibt einiges zu überlegen“, gestand Rick.
„Willst du darüber reden?“, bot John an.
Rick lächelte. John war fast wie ein Vater für ihn, und seine Anteilnahme freute ihn. Nur brachte Reden leider absolut nichts.
„Nein.“
„Du warst schon immer der ruhige Typ“, sagte John und betrachtete ebenfalls das Haus. „Das hier ist ein schönes Fleckchen Erde.“
„Ja. Ich weiß.“
„Nur müssen in einem solchen Haus auch Menschen leben, damit die Familiengeschichte weitergeht. Es ist nicht gut, wenn ein Gebäude so lange leer steht.“
„Danke für den Wink mit dem Zaunpfahl“, sagte Rick und lächelte wider Willen.
„Was soll ich um den heißen Brei herumreden? Das liegt mir nicht. Ich will dir etwas sagen.“
„Na dann raus damit“, sagte Rick und seufzte. Er kannte John und wusste, dass dieser sich vermutlich seit einer Woche auf dieses Gespräch vorbereitet hatte.
John rieb sich den Nacken, dann begann er: „Du weißt ja, als du zu den Marines gegangen bist, war ich genauso stolz auf dich wie deine Eltern.“
„Ja, das weiß ich.“
„Aber wie sagt man so schön? Alles hat seine Zeit, das Weggehen und das Zurückkehren.“
Rick runzelte die Stirn und sah wieder zum Fenster seiner Mutter. Wenn er beim letzten Mal hiergeblieben wäre, hätte Sadie nicht völlig allein von ihrer Schwangerschaft erfahren. Und seiner Mutter hätte er Beistand leisten können. Wer weiß, vielleicht wäre sie dann gar nicht gestorben …
Aber was nützte das Grübeln über die Vergangenheit, wenn sie sich ohnehin nicht ändern ließ.
„Ich meine nur“, fuhr John fort, „deine Mom war richtig begeistert, dass Sadie Price von dir schwanger war.“
Rick sah den Vormann stirnrunzelnd an. „Mom hat es dir erzählt?“
„Ja. Mir und Elena. Wem hätte sie es denn sonst erzählen sollen?“
„Mir!“ Rick spürte, wie er ärgerlich wurde. „Ich stehe hier und wünsche mir, ich wäre für Mom und Sadie da gewesen. Und jetzt erfahre ich einfach so, dass nicht nur meine Mutter von den Zwillingen wusste, sondern auch du und Elena. Findest du es richtig, dass mir niemand Bescheid gesagt hat?“
John ließ sich von Ricks Verärgerung nicht einschüchtern. Ruhig erwiderte er: „Nein, natürlich hättest du es erfahren sollen. Aber deine Mom wollte dich bei deinen Einsätzen nicht ablenken, damit du nicht verwundet wirst oder
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