Wilde Magie - Wilde Magie - Fever / Wild Rain
Was er auch anstellte, er konnte sich nicht davon lösen.«
Rio mixte Rachael einen kühlen Drink. Er sah, dass der Schmerz sie von innen heraus auffraß. Zwei kleine Kinder, die in eine gewalttätige Welt hineingeboren worden waren. Er kannte die strikten Regeln der Welt, in der ihre Mutter aufgewachsen war. Sie hatte sicher versucht, den Kindern ihre Moral, ihr Ehrgefühl und ihre Rechtschaffenheit zu vermitteln. Er reichte ihr den Drink, setzte sich auf den Boden und nahm ihr verletztes Bein in seine Hände.
Rachael schaute ihm ins Gesicht. Offenbar verurteilte er sie nicht, sondern akzeptierte einfach die Tatsachen. Doch sein Blick war mitleidig, und deshalb musste sie ihm ausweichen. Sie war den Tränen zu nahe und wagte nicht, mit dem Weinen anzufangen. Wenn sie einmal anfing, konnte sie möglicherweise nicht mehr aufhören.
Sie nippte an dem kühlen Nektar und überlegte, wie sie es ihm beibringen sollte. Was er wissen musste. Sie hatte nie darüber geredet, mit niemandem. Für dieselben Informationen, die sie besaß, wurden andere Menschen umgebracht. Rio wusch zärtlich ihr Bein und hob es hoch, um die Bisswunden zu begutachten. Seine Hände waren sicher und ruhig und ließen ihr Herz einen kleinen Hüpfer machen. Sie berührte seinen Scheitel, das dichte, wirre Haar. »Du bist ein guter Mensch, Rio. Lass dir von den Ältesten bloß nichts anderes erzählen.«
Sie trug das Herz auf der Zunge. Rio beugte sich herab, um einen Kuss auf die größte Narbe an ihrem Bein zu drücken. »Was ist mit dir passiert, Rachael? Und mit deinem Bruder?«
»Mein Vater hat die Geschäfte zusammen mit Onkel Armando geführt. Die beiden waren Zwillinge und standen sich sehr nahe, dachten wir jedenfalls. Wir haben sehr viel Zeit mit Onkel Armando verbracht. Beim Abendessen war er praktisch immer dabei. Elijah hat er wie seinen eigenen Sohn behandelt. Er nahm ihn sogar mit zu Baseballspielen und auf Ausflüge in die Everglades. Wir dachten, er liebt uns. Zumindest hat er so getan. Ich habe Armando und Antonio nie streiten hören. Nicht ein einziges Mal. Sie umarmten sich oft, und die Zuneigung wirkte echt.«
Als sie wieder verstummte und sich mit einem Stirnrunzeln in ihrem Drink verlor, schaute Rio auf. Er wartete. Was für ein Trauma sie auch erlebt haben mochte, er würde geduldig warten, bis sie es ihm erzählte. Er war sich sicher, dass sie ihm Dinge anvertraute, die außer ihm niemand wusste.
Rachael holte tief Luft und blickte zur Tür. Zu den Fenstern. »Ist auch ganz bestimmt niemand in der Nähe? Könnte Kim in Hörweite sein?« Ihre Stimme war leise, kaum mehr als ein gespenstisches Flüstern, und sie klang wie ein Kind. »Jeden Tag müssen sie unser Haus nach Wanzen durchforsten. Manchmal sogar mehrmals täglich. Und Elijah lässt jeden Wagen nach Bomben absuchen, ehe wir einsteigen.«
Rio legte die Finger um ihren Knöchel, er wollte sie berühren. Ihr Halt geben. »Es muss schrecklich sein, in ständiger Todesangst zu leben.«
»Ich war neun, als ich eines Tages in ein Zimmer kam und sah, wie mein Vater ermordet wurde. Armando stach auf ihn ein, immer und immer wieder. Mama war bereits tot. Er hatte ihr die Kehle durchgeschnitten. Das ganze Zimmer schwamm in Blut.«
Rio sah, dass sie weit weg war. Sie war wieder das kleine Mädchen, das ahnungslos ins Zimmer kommt, vielleicht von der Schule oder um ihren Eltern etwas Besonderes zu zeigen. Der Griff, mit dem er sie hielt, wurde fester.
»Er schaute hoch und sah mich. Ich schrie. Ich weiß noch, dass ich gar nicht mehr aufhören konnte zu schreien. Egal, wie sehr ich mich bemühte, ich konnte das Kreischen nicht abstellen. Er kam mit dem Messer auf mich zu. Er war voller Blut, überall, auch an den Händen. Und ich stand einfach da und schrie. Ich habe ihm angesehen, dass er mich umbringen wollte. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als mich zu töten. Ich war eine Zeugin. Die mit angesehen hatte, wie er meine Eltern ermordete.«
»Und warum hat er es nicht getan?« Man musste ihr jedes Detail einzeln aus der Nase ziehen. Erst erzählte sie etwas, dann verfiel sie wieder in Schweigen. Das Trauma saß tief und würde nie ausgestanden sein. Er ahnte, dass ihr Leben in den folgenden Jahren nicht viel angenehmer geworden war, nicht, wenn eine Million Dollar auf ihren Kopf ausgesetzt waren.
Rio hob Rachael hoch, setzte sich in den Sessel und nahm sie auf den Schoß. Sie schmiegte sich trostsuchend in seine schützenden Arme und bettete den Kopf an seinen
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