Wilde Magie - Wilde Magie - Fever / Wild Rain
einen Mann mit großen Talenten und Charisma. Manche folgten ihm. Sie verließen das Dorf und den Schutz der Gemeinschaft, sagten sich aber nicht völlig los. Rio hat einen Menschen getötet. Unter welchen Umständen auch immer, egal, aus welchem Grund, er hat dem Mann nachgestellt, dabei die Fähigkeiten unserer Art genutzt und mutwillig ein Leben zerstört. Nicht nur, dass er uns alle der Gefahr von Vergeltungsmaßnahmen und damit auch der Gefahr
der Entdeckung ausgesetzt hat, er hat unsere ganze Lebensweise infrage gestellt. Dass wir strikte Gesetze haben, hat gute Gründe, Rachael. Hätten wir ihn ohne Strafe gehen lassen sollen? Rio kannte und akzeptierte die Regeln unserer Gemeinschaft.«
Rachael sah zu, wie der Älteste den Tisch deckte, in die Mitte eine Kerze stellte und sie anzündete. Sie brachte es kaum über sich, den Türrahmen und die Nacht zu verlassen.
Rio war zwar überall zu spüren, doch die Dunkelheit draußen war sein Element. Sie wusste, dass er weit weg war, konnte ihn aber dennoch fühlen. In all den Nächten, in denen sie beim Aufwachen festgestellt hatte, dass er gegangen war oder gerade wiederkam, war er in seiner anderen Gestalt unterwegs gewesen. Sie sehnte sich danach, an seiner Seite zu sein, anstatt hier fruchtlose Diskussionen zu führen.
»Kommen Sie, setzen Sie sich und essen Sie etwas«, sagte Delgrotto freundlich. »Sie haben viel Mut, Rachael, und sie verteidigen die, die Sie lieben, vehement, genau wie Rio. Ich freue mich, dass er Sie gefunden hat. Sie machen ihn glücklich.«
»Wenn Sie ihm nicht alles genommen hätten, hätte er auch vorher schon glücklich sein können.«
»Wir haben sein Leben verschont. Mehr konnten wir nicht tun. Es hieß Tod oder Verbannung. Niemand wollte das Urteil, und niemand war glücklich damit, doch wir hatten das Gefühl, nicht anders zu können. Wir haben ihm das Leben geschenkt und ohne ihn weitergemacht. Manchmal haben wir mitbekommen, wie viel gute Taten dieser Sohn unseres Volkes vollbracht hat. Er ist ein geborener Führer. Was die Verbannung für ihn bedeutete,
haben wir gesehen. Was sie für unser Volk bedeutet, kann man nur vermuten.«
»Ich hoffe, Sie erwarten nicht, dass ich Sie bedaure.« Rachael humpelte zum Tisch. Sie ließ die Tür weit offen stehen. Sie würde nicht schlafen, bis Rio heil wieder zu Hause war, und das Geräusch des Regens beruhigte ihre gereizten Nerven und vermittelte ihr den Eindruck, bei ihm zu sein. Rios Regenmusik brachte ihn ihr nahe.
»Bedauern habe ich auch nicht erwartet, aber vielleicht Verständnis. Wir haben ihn und seine Mutter verloren. Die Verbannung bedeutet, dass er für uns tot ist. Wir können ihn nicht sehen oder sprechen, dennoch gibt er uns sein Geld für die Erhaltung des Regenwaldes.«
»Wie können Sie das bloß annehmen?«
»Wenn wir ihn weder sehen noch hören, wie sollen wir es ihm dann zurückgeben?«
»Sie sehen das Geld, aber nicht den Spender?«
Delgrotto lächelte über ihre Heftigkeit. »Sie müssen mir versprechen, viele Kinder mit ihm zu bekommen. Wir brauchen sie.«
Die Suppe schmeckte köstlich. Nicht einmal das gestand sie ihm gern zu, und das störte sie selbst. Ein schwaches Grinsen huschte über ihr Gesicht. »Ich denke, was Sie angeht, bin ich voreingenommen. Ich will die Sache gar nicht von Ihrem Standpunkt aus sehen.«
»Wenigstens geben Sie das zu.« Delgrotto schien die Suppe zu genießen. »Sie würden gut in den Rat passen.«
Rachael brachte es fertig, abfällig zu schnauben, obwohl sie gerade den Löffel im Mund hatte.
Delgrotto lüpfte eine Augenbraue. »Glauben Sie nicht? Im Rat muss man die Probleme von allen Seiten betrachten. Und bevor man das tun kann, muss man zugeben,
dass es mehr als eine gibt. Rio in die Verbannung zu schicken hat mir nicht gefallen, doch die Alternative war völlig indiskutabel.«
»Um Gottes willen, hätten Sie sich denn nicht eine andere Strafe ausdenken können? Etwas weniger Hartes? Leben und leben lassen, nach dem Motto verfahren doch fast alle gesetzgebenden Versammlungen.«
Delgrotto nickte höflich und bedachte ihren Vorschlag. »Was ist denn Ihrer Meinung nach eine gerechte Strafe für Mord?«
»Es war kein Mord.«
»Was war es dann?«
»Ich weiß es nicht, aber ich habe gesehen, wie ein Mord aussieht. Ich habe jemanden, der wirklich schlecht ist, einen bösartigen, kaltblütigen Mord begehen sehen, und so war das bei Rio nicht .«
In der Ferne schrie eine Eule. Der Älteste hob den Kopf und spähte einen
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