Wilde Rose der Prärie
schob seinen Hut zurecht. „Wir müssen hier etwas erledigen", antwortete er. „Bringen Sie sich nicht in irgendwelche Schwierigkeiten."
Sie sah ihm nach, wie er davonritt.
Zehn Minuten später hatten sie die Herberge erreicht, ein Gebäude mit einer Fassade aus Holz und Putz, mit einem Brunnen im Vorgarten und einer großen Scheune auf einer Seite. Laternenlicht schien durch die Fenster. „Ich kümmere mich um den Maulesel", sagte der Captain ruhig und ließ Lorelei absitzen. „Achten Sie darauf, dass Melina und Tillie ins Bild passen. Sie wissen schon, nicht wahr?"
Lorelei wollte ihm eben die Zügel übergeben, da erstarrte sie mitten in der Bewegung, als ihr die Bedeutung seiner Worte klar wurde. Melina war Mexikanerin, Tillie eine Schwarze. In viele Häuser würde man die beiden überhaupt nicht einlassen, außer als Dienstpersonal.
Der Captain musste über ihr Mienenspiel lachen. „Gehen Sie nicht wutentbrannt da rein", riet er ihr. „Geben Sie diesen Leuten erst mal eine Chance - jedenfalls so lange, bis sie zu erkennen geben, dass sie die nicht verdient haben."
„Holt hat uns hergeschickt", überlegte sie, während sie beobachtete, wie die recht unwirsch dreinblickende Gastwirtin - vermutlich eine Mulattin - aus der Herberge kam und sich die Hände an ihrer Schürze abwischte. „Ganz bestimmt ..."
„Holt war eine Weile nicht mehr in Laredo. Vielleicht hat der Eigentümer gewechselt. Wenn Sie mich brauchen, rufen Sie einfach nach mir." Mit diesen Worten führte der Captain Seesaw zur Scheune. Tillie wurde auf der Ladefläche des Wagens sitzend dorthin gefahren, und Melina folgte auf ihrem Pony, wobei sie Lorelei einen ängstlichen Blick zuwarf.
Als Lorelei zur Gastwirtin ging, zwang sie sich zu einem aufmunternden Lächeln und wünschte, sie würde eines ihrer edlen Kleider tragen, nicht aber Hose, Stiefel und ein Hemd, das für einen Mann geschnitten war. Aus der Nähe betrachtet wirkte die Frau noch beängstigender als aus der Ferne. Ihr volles, graues Haar machte den Eindruck, als müsse es nicht durch Nadeln in Form gehalten werden, sondern befolge den Befehl dieser Frau, sich so und nicht anders zu legen. Ihre Haut war mit kleinen Narben überzogen, vermutlich die Folgen einer viele Jahre zurückliegenden Pockenerkrankung. Mit leicht zusammengekniffenen Augen musterte sie Lorelei von oben bis unten.
„Sind Sie mit diesen Männern unterwegs?", fragte sie.
„Ja", antwortete Lorelei und drückte unwillkürlich den Rücken durch. „Wir gehören zu Holt McKettricks Gruppe. Wir sind auf dem Weg nach Mexiko, um Vieh zu kaufen."
„Ich kannte mal einen Holt Cavanagh", lautete ihre desinteressierte Antwort. „Aber den Namen McKettrick habe ich bestimmt noch nie gehört."
„Es ist der gleiche Mann", erklärte sie. „Er schickte uns zu Ihnen." Sofort hellte sich die Miene der Frau so sehr auf, dass Lorelei regelrecht erschrak. „Warum hat Holt denn seinen Namen geändert?", fragte sie. „Hat er Ärger mit dem Gesetz? Würde gar nicht zu ihm passen, denn als ich ihn kannte, war er ein Ranger. Aber selbst ein paar von denen geraten mal in die falschen Kreise." Sie machte eine Pause und strahlte Lorelei an. „Aber egal, das kann ich auch selbst fragen, wenn ich ihn sehe."
Lorelei lächelte ehrlich, streckte ihre schmutzige Hand aus und stellte sich vor. „Ich bin Heddy Flett", erwiderte die Wirtin. „Schlafen Sie bei ihm, oder wollen Sie ein Zimmer für sich allein?"
„Ich teile mir ein Zimmer mit meinen Freundinnen Tillie und Melina", sagte sie, während die Frage sie erröten ließ. Sie deutete auf die Scheune, vor der die beiden Frauen standen, das Baby auf dem Arm und den Hund an ihrer Seite. Zwar schaute keine von ihnen zu Lorelei, doch an ihrer Körperhaltung konnte sie erkennen, dass die beiden auf ein Urteil warteten.
„Na, dann sagen Sie ihnen mal, dass sie reinkommen sollen", verkündete Heddy gut gelaunt. „Ich habe ein schönes Zimmer mit zwei großen Betten. Die Männer werden natürlich mit dem Hund auf der Veranda schlafen müssen. Sie drei können sich dann schon mal frischmachen und eine Weile ausruhen, ich kümmere mich in der Zwischenzeit ums Abendessen."
„Vielen Dank", erwiderte Lorelei.
„Ich verdiene damit mein Geld, dass ich Betten vermiete", erklärte Heddy mit fröhlicher Unbekümmertheit und wandte sich ab, um auf dem Trampelpfad zur Veranda zu gehen. Dort blieb sie stehen und rief Tillie und Melina zu: „Na, jetzt bringen Sie den Kleinen doch endlich
Weitere Kostenlose Bücher