Wilde Rose der Prärie
mit den anderen aufgestanden, weshalb sich Lorelei jetzt Sorgen um sie machte.
„Das Mädchen braucht Ruhe", sagte Heddy von sich aus, als hätte sie Loreleis Gedanken gelesen. „Es ist eine Strapaze für den Körper, mit einem Haufen Vieh durch Indianergebiet zu reiten."
Wieder verspürte Lorelei einen Anflug von Furcht, der nichts damit zu tun hatte, dass Melina nicht zum Frühstück nach unten gekommen war. „Ich bringe ihr besser etwas zu essen rauf", erklärte sie.
„Das habe ich längst erledigt", ließ Heddy sie wissen. „Tillie, sei doch bitte so gut und knete den Brotteig so, als würdest du es ernst meinen. Wenn du das nicht machst, wird er nicht weiter aufgehen als ein Pfannkuchen." Tillie war eine gute Köchin, trotzdem machte es ihr nichts aus, von Heddy Anweisungen zu erhalten. Vielmehr schien ihr das sogar zu gefallen. „Ja, Ma'am", erwiderte sie.
Im ersten Stock angekommen, öffnete Lorelei leise die Tür zu ihrem Zimmer, da Melina möglicherweise noch schlief. Erleichtert fand sie ihre Freundin komplett angezogen in einem Schaukelstuhl am Fenster vor. Ihr dunkles Haar glänzte frisch gebürstet, im Nacken hatte sie es zu einem lockeren Knoten gebunden und hochgesteckt.
Sie lächelte, als sie Loreleis Miene sah. „Mach dir keine Sorgen um mich", beruhigte sie sie. „Ich faulenze nur, solange ich die Gelegenheit dazu habe." Loreleis Kattunkleid lag zusammengerollt in ihrer Tasche, sie nahm es heraus und schüttelte es aus. „Tillie wird mit dem Baby hierbleiben", berichtete sie beiläufig. „Jedenfalls so lange, bis wir aus Mexiko zurückkommen. Vielleicht wäre das ja auch was für dich."
„Damit du als einzige Frau unter lauter Männern unterwegs bist?", gab Melina zurück und machte eine abwehrende Handbewegung. „Das könnte ich dir nicht antun."
Skeptisch musterte Lorelei die junge Frau. „Wann soll dein Baby zur Welt kommen?"
„In ein oder zwei Monaten", antwortete sie und schaukelte gemächlich vor und zurück. Ein Seufzer kam ihr über die Lippen, als sie zum Fenster schaute. „Ich mag es, in einem richtigen Haus zu sein, mit Vorhängen vor den Fenstern und Quilts auf den Betten. Wenn so was wie das hier mein Zuhause wäre, dann würde ich bestimmt niemals einen Schritt vor die Tür machen wollen."
Lorelei vergaß ihr Kleid und setzte sich auf die Bettkante. Beide Betten waren bereits gemacht. Unwillkürlich dachte sie an das schöne Haus ihres Vaters in San Antonio und an all den Luxus, den sie dort für selbstverständlich gehalten hatte. Sie bedauerte nicht, dass sie von dort weggegangen war, doch sie wünschte, sie wäre dankbarer gewesen - wenn nicht dem Richter, dann doch dem Schicksal gegenüber, das es so gut mit ihr gemeint und ihr Dinge gegeben hatte, von denen andere Frauen nur träumen konnten.
„Du wirst eines Tages auch so ein Zuhause haben, Melina", gab sie leise zurück. Ihre Kehle war wie zugeschnürt, ihre Augen brannten, doch ihre Gefühle hatte sie fest im Griff. „Du und Gabe und das Baby." Kaum hatte sie das ausgesprochen, bereute sie ihre Worte. Gabe würde in weniger als einem Monat am Galgen enden, und dann würden Melina und das Kind ganz allein sein. Was für eine trostlose Aussicht. Melina schaute sie traurig an. „Frauen wie du leben in Häusern wie diesem hier, Lorelei. Aber Tillie und ich, wir werden nur Köchinnen oder Dienstmädchen sein."
„Das ist nicht richtig", protestierte sie kleinlaut und legte die Hände ineinander verschränkt in den Schoß. „Viele Dinge sind nicht richtig", sagte Melina. Betretenes Schweigen machte sich breit.
„Du kannst bei mir auf meiner Ranch bleiben, solange du willst", bot Lorelei ihr an, als sie die Stille nicht länger ertrug. „Du und dein Baby."
Melina lächelte sie an. „Du wirst nicht lange auf dieser Ranch bleiben, Lorelei", sprach sie mit einer Überzeugung, als könne sie in die Zukunft blicken. „Du wirst Holt heiraten und zu ihm nach Arizona ziehen."
„Ihn würde ich nicht mal heiraten, wenn er ..."
„Wenn er der einzige Mann auf er ganzen Welt wäre?", führte Melina den Satz amüsiert zu Ende. „Sei dir da mal nicht so sicher, dass er das nicht wirklich ist. Jedenfalls was dich angeht."
Lorelei fühlte sich ein wenig beleidigt. „Ich müsste mich schon in einer sehr bedauernswerten Verfassung befinden, wenn ich zum Überleben einen Ehemann nötig hätte. Vor allem einen wie Holt. Außerdem würde er mich ohnehin nicht heiraten. Er hält mich für stur und egoistisch und
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