Wilde Rose der Prärie
Maulesel wieherte. Rafe streichelte seine Nase, dann ließ er ihn los und ging gemächlich ein paar Schritte zurück. Ihm war aber anzusehen, dass er sofort einen Satz nach vorn machen würde, sollte das Tier es sich doch noch anders überlegen. „Drücken Sie ihm einfach Ihre Absätze in die Flanken", empfahl Rafe ihr. Holt wünschte, er hätte das sagen können, doch er konnte beim besten Willen nicht ein einziges Wort herausbringen.
Lorelei folgte Rafes Anweisung, der Maulesel machte ein paar zögerliche Schritte vorwärts und warf Rafe einen abschätzigen Blick zu, kam aber offenbar zu dem Schluss, sich besser nicht mit ihm anzulegen. Ehe sich's Holt versah, hatte Lorelei Seesaw zu einem leichten Galopp gebracht. Zwar wurde sie im Sattel hin und her geworfen, doch mit ein wenig Übung sollte es ihr gelingen, sich an die Bewegungen des Tiers anzupassen.
Völlig dreckig, aber zufrieden grinsend stellte sich Rafe mit verschränkten Armen neben seinen Bruder. Die Sonne schickte ihre ersten goldenen Strahlen über die Hügel im Osten und tauchte die Landschaft in ihren heißen Schein.
„Sie ist wirklich was Besonderes, wie?", sagte Rafe voller Bewunderung. „Wäre ich nicht glücklich verheiratet, dann würde ich Miss Lorelei ganz bestimmt den Hof machen."
„Aber du bist glücklich verheiratet", betonte Holt. Er hatte diese Worte unbeschwert über seine Lippen kommen lassen wollen, dennoch klangen sie wie eine scharfe Ermahnung.
Rafe lachte nur amüsiert, pfiff Chief zu sich und saß auf.
John kam mit dem Versorgungswagen zu Holt gefahren, der Hund saß neben ihm auf dem Kutschbock. Tillie saß auf ihrem eigenen Maultier, Melina war mit ihrem Pony dicht hinter ihr. Auch der Captain war zum Aufbruch bereit.
„Willst du den ganzen Tag da herumstehen?", rief John Holt zu und musterte ihn belustigt.
Gegen seinen Willen hielt er Ausschau nach Lorelei und entdeckte sie, wie sie noch immer auf Seesaws Rücken saß, als sei ihr das Reiten in die Wiege gelegt worden. Holt murmelte einen Fluch, ging zwischen den Pferden umher, bis er Traveler gefunden hatte und setzte sich in seinen Sattel.
Sie hatten noch nicht einmal Johns Land verlassen, und er fühlte sich jetzt schon so erledigt, als hätte man ihn durch drei Staaten geschleift.
Als sie glaubte, niemand beobachte sie, warf Lorelei einen Blick auf ihre Uhr, die mit einer Nadel an der Hemdtasche befestigt war. Das Hemd hatte sie ebenso wie die Hose, die Stiefel und den Hut von Tillie geborgt bekommen. Es war zehn Uhr. Erst zehn Uhr? Nach den Schmerzen in ihren Oberschenkeln und im Rücken und nach der drückenden Hitze zu urteilen, hätte es mindestens halb fünf am Nachmittag sein müssen.
Mit jedem schaukelnden Schritt ihres Maulesels zweifelte Lorelei mehr und mehr daran, ob es wirklich eine so kluge Idee gewesen war, diese Reise zu unternehmen. Aber lieber hätte sie sich die Zunge abgebissen, bevor sie das Holt McKettrick gegenüber zugab.
Er ritt zusammen mit Rafe vor der ganzen Truppe, den Rücken durchgedrückt und den Kopf hoch erhoben wie ein König, der im Begriff war, in ein rebellisches Land einzufallen.
„Alles in Ordnung, Miss Lorelei?", rief ihr John Cavanagh von seinem Wagen aus zu. Sorrowful saß neben ihm und ließ die Zunge aus dem Maul hängen, während er die Landschaft betrachtete.
Sie brachte ein bemühtes Lächeln zustande - nach wie vor musste sie sich völlig aufs Reiten konzentrieren, weil das für sie noch eine ganz neue Erfahrung war - und nickte. Es half nichts, Mr. Cavanagh wissen zu lassen, wie sehr sie den Hund an seiner Seite beneidete und wie gern sie mit ihm den Platz getauscht hätte. Es schien, als könnte er ihre Gedanken lesen. „So wie ich Holt kenne, haben wir noch einen weiten Weg vor uns, bevor wir rasten werden. Vielleicht möchten Sie ja eine Weile bei mir mitfahren. Ihren Maulesel könnten wir am Wagen anbinden." Ihr Blick wanderte zurück zu Holt. Seiner Meinung nach war sie nicht für einen Viehtrieb geeignet, das hatte er ihr mehr als deutlich zu verstehen gegeben. Würde sie auf Mr. Cavanaghs Wagen umsteigen - was sie am liebsten auf der Stelle gemacht hätte -, dann wäre das für ihn der Beweis, dass er recht hatte. „Nein, das geht schon", lehnte sie ab. „Trotzdem vielen Dank für das Angebot." Meile um Meile legten sie zurück, als auf einmal am Horizont ein Fluss zu erkennen war, der im Sonnenschein wie ein silbernes Band glitzerte. Holt hob die Hand, um anzuzeigen, dass sie an diesem Fluss Halt
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