Wilde Rose der Prärie
sind Sie?", fragte Tillie Lorelei geradeheraus, nachdem sie verwundert das Wiedersehen zwischen Sorrowful und der starrköpfigsten Frau auf Gottes Erdboden beobachtet hatte. Vielleicht fürchtete Tillie, man würde ihr den Hund abnehmen. Vielleicht war sie auch nur neugierig. Bei Tillie war es immer schwierig, das einzuschätzen.
Lorelei lächelte freundlich und stellte sich vor. „Das ist mein Hund", erklärte Tillie. „Ich weiß", erwiderte sie.
Tillie überlegte kurz. „Sie können mit ihm befreundet sein, wenn Sie wollen."
„Ja, das würde ich sehr gern", sagte Lorelei. „Vielen Dank."
Erst dann lächelte auch Tillie. „Er mag es, wenn man ihm den Bauch krault."
Lorelei nickte nur. Sie fühlte sich todmüde, sie war durchgefroren, und Holts Verärgerung hatte prompt nachgelassen, als er sie im Umgang mit Tillie beobachtet hatte.
„Ich hoffe, das Essen ist fertig", meinte er nur.
„Brathähnchen", ließ ihn Tillie voller Stolz wissen. Dann wurde sie nachdenklich. „Pa hat gesagt, dass ihr mit Cowboys zurückkommt. Aber ich sehe keine, außer Rafe natürlich."
„Wir müssen schon irgendwie klarkommen", antwortete Holt. „Bring bitte die Frauen ins Haus, Tillie. Rafe und ich werden uns um die Pferde kümmern." Sie nickte, dann ging sie mit Melina, Lorelei und dem Hund nach drinnen. Morgen würde ein neuer Tag sein, sagte sich Holt, um sich selbst Mut zu machen, während er den Appaloosa zur Scheune führte.
Von ganzem Herzen hoffte er, es würde ein besserer Tag werden als der vergangene.
22. Kapitel
Wenn Holt McKettrick eins mit absoluter Sicherheit über sich wusste, dann war es die Tatsache, dass er es hasste zu verlieren - egal ob bei einer Schießerei, einer Wette, oder beim Wurf einer Münze. Aber im Fall von Seesaw machte er gern eine Ausnahme.
Das Tier musste gezähmt werden, wenn Lorelei auf ihm nach Mexiko und zurück reiten wollte, und da sie eben darauf beharrte, musste entweder Rafe oder er selbst den räudigen Teufel an den Sattel gewöhnen. Als bei Rafes Münze Kopf nach oben wies, war Holt heilfroh, dass er sich für Zahl entschieden hatte. In der angenehm kühlen Morgendämmerung dieses letzten Augusttages war es damit also Rafe, der sich den Maulesel vornehmen musste. Er rieb sich die Hände und näherte sich dem Tier, das nicht angebunden vor Johns Scheune stand. Kahill und sechs andere zweifelhafte Charaktere, die Holt hatte anheuern können, beobachteten das Geschehen. Ihre Pferde waren gesattelt, das Gepäck war festgezurrt. Auch der Captain und John wollten sich das Schauspiel nicht entgehen lassen, lediglich Lorelei, Tillie, Melina und der Hund hatten das Haus noch nicht verlassen.
Rafe hatte sich Zaumzeug über eine Schulter gelegt, was der Maulesel ohne Weiteres akzeptierte. Holt persönlich brachte Rafe Sattel und Decke, und als er ihm beides anreichte, sagte er leise: „Sei vorsichtig."
Sein Bruder lächelte nur, und das offensichtliche Selbstvertrauen bewirkte bei Holt Verärgerung und gleichzeitig leichte Schuldgefühle. Er war der ältere von ihnen, und es war seine Ausrüstung, also hätte er derjenige sein müssen, der das Risiko einging. Mit einer geübten Bewegung legte Rafe dem Tier die Decke über, woraufhin Seesaw leicht zusammenzuckte und den Kopf zur Seite drehte. Vergeblich versuchte er, Rafe in den Oberarm zu beißen.
Die Haustür wurde knarrend geöffnet, und Holt wusste auch ohne einen Blick über die Schulter, dass die Liste der Zuschauer soeben um drei Frauen und einen mageren Hund erweitert worden war. Vor allem Loreleis Gegenwart konnte er so deutlich wahrnehmen, als hätte sie sich direkt vor ihm aufgebaut. Diese Tatsache beunruhigte ihn, aber darüber würde er erst dann nachdenken, wenn Rafe den Maulesel entweder gebändigt hatte oder ein paar Mal im Staub vor der Scheune gelandet war.
Seesaw bebte am ganzen Leib, als der Sattel auf die Decke aufgelegt wurde.
„Ganz ruhig", redete Rafe auf das Tier ein.
„Ganz ruhig", sagte Holt im selben Moment zu Rafe.
Rafe hängte den Steigbügel über das Horn und griff unter Seesaws Bauch hindurch nach dem Gürtel. Der Maulesel machte einen Schritt zur Seite und versuchte abermals, ihn zu beißen. Daraufhin zog Rafe ihn einmal kräftig an der Oberlippe, um ihn wissen zu lassen, wer hier der Boss war.
Holt war sich allerdings nicht sicher, wer von den beiden nun wirklich der Boss war. Er ging ein paar Schritte nach hinten, damit sein Bruder und das Tier genügend Bewegungsfreiheit hatten,
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