Wilde Rose der Prärie
unternahm mit Engelsgeduld einen erneuten Anlauf. „Ein Mann von Creightons Welterfahrenheit ..."
„Zum Teufel mit seiner Welterfahrenheit!", platzte sie heraus. „Was ist mit Loyalität, Vater? Und was ist mit Anstand? Wie kannst du von mir erwarten, mich an einen Mann zu binden, der so dreist ist, mich am Tag meiner Eheschließung oder überhaupt an einem beliebigen anderen Tag zu betrügen?" Langsam sank er in seinem Sessel nach hinten, legte die fleischigen Finger aneinander und ließ das Kinn auf ihnen ruhen. Diesen Gesichtsausdruck hatte sie bei ihm hundertmal gesehen - und zwar im Gerichtssaal, wo es bedeutete, dass ein Todesurteil gesprochen werden sollte. „Weißt du, was ich glaube, Lorelei? Duwillsteine alter Jungfer sein! Wie viele Männer hast du in den letzten zehn Jahren abgewiesen, die alle um deine Gunst geworben hatten?" Plötzlich drohten ihr Tränen in die Augen zu schießen, doch die wollte sie nicht vergießen. Nicht vor ihrem Vater. Sie stählte sich für das, was kommen würde, und verkniff sich eine Antwort. Die erwartete er sowieso nicht, weshalb er auch ohne nennenswerte Pause weiterredete. „Michael Chandler ist seit fast zehn Jahren unter der Erde. Es wird Zeit, endlich damit aufzuhören, auf seine Rückkehr zu warten." Eine Träne entwischte ihr doch, lief über Loreleis glühende Wange und fiel auf ihr Mieder. „Du hast Michael gehasst", flüsterte sie. „Du warst erleichtert über seinen Tod."
„Er war schwach", sagte er mit leiser, unnachgiebiger Stimme. „Spätestens nach einem Jahr hättest du genug von ihm gehabt und wärst in Tränen aufgelöst zu mir gekommen, damit ich dich aus dieser Ehe heraushole."
„Wann bin ich jemals ,in Tränen aufgelöst' zu dir gekommen?"
Sie sah, wie sein Kiefermuskel zuckte. „Creighton ist deine Chance auf ein eigenes Heim, auf eine Familie. Ich weiß, du willst diese Dinge. Aber wenn du weitermachst mit diesen ... diesen Wutausbrüchen, dann wirst du für den Rest deines Lebens allein bleiben."
„Lieber allein und mit unversehrter Selbstachtung", konterte sie, während sich ihr Magen verkrampfte, „als in einer Ehe mit einem Mann, der mich nicht genug liebt, um mir treu zu sein."
„Liebe? Jetzt hör bloß auf, Lorelei", schnaubte er verächtlich. „Du bist doch kein dummes Mädchen. Liebe ist was für Märchen und Theaterstücke. Die Ehe ist ein Bündnis, bei dem Gefühlsduselei keinen Platz hat. Reiß dich gefälligst zusammen. Nimm eins von deinen Ballkleidern, und dann findet diese Hochzeit statt." Lorelei schüttelte den Kopf, bekam aber kein Wort heraus. „Dann bleibt mir wohl nichts anderes übrig." Der Richter schüttelte seinerseits traurig den Kopf. „Wenn du diese Dummheiten nicht einstellst, werde ich dich wegschicken müssen, möglicherweise sogar in eine Irrenanstalt." Nachdenklich musterte er seine Tochter. „Ich fürchte, du bist nicht ganz gesund." Ihre Beine drohten ihr den Dienst zu versagen. Zwar hatte sie diese spezielle Drohung noch nie zu hören bekommen, dennoch wusste sie, es waren keine leeren Worte. Ihr Vater besaß die Macht und die Mittel, sie in eine solche Anstalt sperren zu lassen. Dafür musste er nur einige Dokumente unterschreiben. Er hatte Jim Masons Frau an einen dieser Orte geschickt, weil sie lästig geworden war, und er tat es mit der Selbstverständlichkeit eines Mannes, der einem Freund einen Gefallen erweist. Und sie war nicht der einzige Fall gewesen.
„Wie ich sehe, bist du jetzt geneigt, mir zuzuhören", sagte er mit einem zufriedenen Leuchten in seinen Augen. Dann fügte er etwas sanfter an: „Geh zu Creighton und versöhne dich mit ihm. Ich erwarte dich wie geplant um sechs Uhr in der Kirche, damit die Hochzeit stattfinden kann."
Sie stieß sich von der Tür ab und drückte einmal mehr den Rücken durch. „Dann kannst du dich auf eine Enttäuschung gefasst machen", gab sie ruhig zurück, griff nach dem Knauf und öffnete die schwere Tür.
„Wenn du diese Schwelle überschreitest", warnte er, „wird es kein Zurück mehr geben. Vergiss das nicht."
Lorelei zögerte einen winzigen Moment lang, dann stürmte sie nach draußen. Sie war in Gedanken bereits so sehr damit beschäftigt, ihre Sachen zu packen und sich einen Fluchtplan zu überlegen, bevor ihr Vater sie in irgendein Irrenhaus stecken konnte, dass sie nicht den Mann draußen vor der Tür bemerkte und mit ihm zusammenstieß.
„Lorelei!", kam die wütende Stimme ihres Vaters aus dem Arbeitszimmer. „Sieht so aus,
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