Wilde Rosen: Roman (German Edition)
und klar gesagt: Noch mal hundert Pfund, und zwar bald, sonst werde er sie zwingen, das Boot zu verkaufen. Und wenn sie es nicht tat, würde er die Zwangsversteigerung betreiben. Was doch weitaus schlimmer wäre, betonte er. Jetzt Bargeld in die Finger zu bekommen konnte durchaus die Rettung in letzter Sekunde bedeuten.
Aber May hatte in ihrem ganzen Leben noch keine vernünftige Mahlzeit gekocht, geschweige denn irgend etwas, das mit cuisine zu tun hatte. Ihre warmen Mahlzeiten bestanden in aller Regel aus Toast, Käse und gebackenen Bohnen, hin und wieder ein Schinkensandwich zur Abwechslung. Und es war schon halb vier. Selbst für May, die nur eine vage Vorstellung hatte, wie lange diese Dinge dauerten, erschien die Zeit ein bißchen knapp, zumal sie noch putzen und alles einkaufen mußte.
Sie verbarg das Gesicht in den Händen, um einen Augenblick nachdenken zu können, ohne daß die Überreste des Frühstücks sie durcheinanderbrachten. Als sie den Kopf hob, hatte sie eine Entscheidung getroffen. Sie würde wie ein Wirbelwind einkaufen und anschließend die Gerichte mit langen Garzeiten auf den Weg bringen. Dann wollte sie putzen und schließlich in aller Ruhe fertig kochen. Es würde nicht einfach sein, aber es war machbar. Als erstes brauchte sie eine Einkaufsliste.
Sie suchte auf dem Tisch nach der Speisenfolge und dem Einkaufsgeld. Der Speiseplan hatte sich unter einem Teller mit Schinkenkrusten und kaltem Rührei verkrochen, aber Geld war nirgends zu entdecken. Die Panik, die May sich gerade eben erst ausgeredet hatte, kam zurück. Sie suchte die ganze Küche ab, Arbeitsplatte, Schränke, alles. Schließlich kam sie zu der erschütternden Erkenntnis, daß hier kein Geld für sie bereitlag.
May besaß gerade genug Bargeld für die U-Bahn-Fahrt nach Hause, auf ihrem Konto war ein sattes Minus. Eine Kreditkarte besaß sie nicht. Da sie schlecht bei den Nachbarn klingeln konnte, um fünfzig Pfund zu borgen, kam Einkaufen eben nicht in Frage. Immerhin bedeutete das, daß sie einen Punkt auf ihrer Aufgabenliste schon streichen konnte. Dann also Punkt zwei: Kochen. May studierte die Menüfolge. Clorinda war offenbar ein großer Fan von Gourmetsendungen.
Geräucherte Forellenmousse (kinderleicht!), Toast Melba, Lammsteaks in Blattsalatmantel und Blätterteig (Salatroller in Schublade neben Herd) mit Zuckererbsen, Röstkartoffeln und Rotweinsoße, Zitronen-Weinschaumcreme (nehmen Sie die Gläser aus dem hohen Schrank).
Also, jedenfalls hatte sie eine absolut plausible Ausrede, warum sie diese kulinarischen Wunschträume nicht erfüllen konnte. Auch mit den nötigen Zutaten wäre es für eine Anfängerin wie May ein allzu ehrgeiziges Menü gewesen.
May fand einen Teebeutel und machte sich eine Tasse Tee. Sie könnte ihre Mutter anrufen und um Rat fragen. Ihre Mutter war auch ein Fan von Kochsendungen und hatte bestimmt jede Menge praktische Tips, wie man ein Gourmetmenü für acht aus ein paar Resten zaubert. Oder sie könnte Schleimbeutel anrufen, ihm die Situation schildern und ihm die Entscheidung überlassen, was zu tun sei. Nein. Alles, nur das nicht. Wenn sie Schleimbeutel ins Spiel brachte, bestand nicht ein Funke Hoffnung, daß sie einen Penny zu Gesicht bekam.
Außerdem widerstrebte es May, den einfachen Ausweg zu nehmen. Sie hatte eine dickköpfige Ader, die es ihr schwermachte, um Hilfe zu bitten. Hätte Clorinda die Zutaten gekauft oder ihr ein Bündel Zehnpfundnoten bereitgelegt, hätte sie vielleicht anders gedacht. Aber jetzt, da ihr niemand einen Vorwurf machen könnte, wenn sie es nicht versuchte, gerade jetzt war sie wild entschlossen zu kochen. Wie und was genau wußte sie noch nicht. Doch sie war zuversichtlich, daß ihr eine Lösung einfallen würde, und entschied, erst einmal zu putzen, damit sie auch das abhaken konnte.
Sie räumte das Frühstücksgeschirr in die Spülmaschine und entdeckte unter der Spüle eine Kiste mit Putzmitteln, sehr säuberlich angeordnet. May fiel ein, daß sie heute hier war, weil Mrs. Stockbridges Putzfrau sich ein Bein gebrochen hatte. Tja, sie mochte anfällige Knochen haben, aber jedenfalls war sie tüchtig und systematisch. »Und das ist ein Glück«, sagte May. »Denn wenn sie sich das Bein nicht schon vor Monaten gebrochen hat, heißt das, daß das Haus noch ziemlich sauber ist.«
Mit neuem Mut trug sie die Putzmittelkiste ins Wohnzimmer. Abgesehen von einem Stapel Zeitungen in einem Sessel fand May den Raum absolut in Ordnung, gut genug, um Gäste
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