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Wilde Saat

Wilde Saat

Titel: Wilde Saat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Octavia Butler
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machte.
    »Ich werde die Führung übernehmen, bis wir die Dörfer hinter uns gelassen haben«, sagte sie. Sie trug wieder die Gestalt eines jungen Mannes und hatte nach Männerart ein schalartiges Tuch um ihre Hü f ten geschlungen. »Rings um meine Behausung li e gen Dörfer, und für einen Fremden ist es unmöglich, ungesehen bis zu mir vorzudringen. Du ha t test großes Glück, daß du auf dem Weg zu mir von ni e mandem aufgehalten wurdest. Oder vielleicht sollte man sagen: Mein Volk hatte Glück. Und ich möchte, daß dieses Glück bis nach unserem Weggang anhält.«
    Er nickte. So lange sie die gewünschte Richtung ei n hielt, sollte sie ihn führen. Zum Frühstück hatte sie ihm den Kartoffelbrei vom vergangenen Abend vo r gesetzt. Und in der Nacht war es ihr gelungen, seinen jungen, starken Kö r per völlig zu entkräften. »Du bist ein ausgezeichneter Liebh a ber«, hatte sie befriedigt festgestellt. »Es ist lange Zeit her, seit ich das letzte Mal mit einem Mann zusammen war.«
    Überrascht wurde er sich darüber klar, wie gut ihm diese Worte taten, wie gut ihm die Frau selbst getan hatte. Sie war in verschiedener Hinsicht eine lohnenswerte Entd e ckung. Er beobachtete, wie sie einen letzten Blick auf ihre Behausung warf, die sie gefegt und aufgeräumt verließ, wie ihre Augen über den Hof und den Garten wanderten, die trotz ihrer geringen Ausdehnung einen weiträumigen Ei n druck machten. Er fragte sie, wie viele Jahre dies alles ihr Zuhause gewesen war.
    »Meine Söhne haben mir beim Bau des Hauses und beim Anlegen des Gartens geholfen«, sagte sie leise. »Ich erklä r te ihnen, daß ich einen Platz ein wenig abseits von den B e hausungen der anderen brauche, um in Ruhe meine Arzneien und Heiltränke herste l len zu können. Alle, außer einem, kamen, um mir zu helfen. Dieser eine war mein Ä l tester. Er verlangte von mir, daß ich in seinem Kral woh n te, und er war überrascht, daß ich davon nichts wissen wollte. Er ist reich und voller Hochmut, und er ist gewohnt, daß man auf ihn hört. Selbst dann, wenn er Unsinn redet – was ziemlich oft vorkommt. Er hat nicht das geringste Ve r ständnis für das, was mich angeht. Er b e greift mich nicht, und deshalb zeigte ich ihm einige von den Dingen, die ich dir zeigte. Das verschloß ihm den Mund.«
    »Das glaube ich gern!« Doro lachte.
    »Inzwischen ist er ein sehr alter Mann geworden. Ich glaube, er wird der einzige von meinen Söhnen sein, der mich nicht vermissen wird. Im Gegenteil, er wird froh sein, wenn er feststellt, daß ich nicht mehr da bin. Er und einige andere von meinen Leuten, ob g leich sie mir ihren ganzen Reic h tum verdanken. Die meisten sind so alt, daß sie sich noch an meine großen Verwandlungen erinnern kö n nen – von einer Frau in einen Leoparden und in eine Python. Jetzt haben sie noch ihre Legenden und ihre Furcht.« Sie holte zwei süße Kartoffeln und steckte sie in ihren Korb. Dann holte sie weitere Kartoffeln und warf sie ihren Ziegen vor, die zuerst erschreckt zurückw i chen, sich dann aber begierig über das u n gewohnte Futter hermachten. »So etwas Gutes haben sie selten zu fressen bekommen«, sagte Anyanwu lachend. Dann wurde sie wieder ernst und trat zu einem niedrigen Schutzdach, unter dem einige Gö t terfiguren aus Lehm standen.
    »Die stehen hier meiner Leute wegen«, erklärte sie D o ro. »Diese hier und einige Figuren drinnen.« Sie zeigte zu i h rem Haus hinüber.
    »Ich habe drinnen keine einzige davon gesehen.«
    Obwohl ihr Gesichtsausdruck ernst blieb, erschien ein Lächeln in ihren Augen. »Du hast beinahe darauf gese s sen.«
    Alarmiert versuchte er sich zu erinnern. Für gewöh n lich bemühte er sich, die religiösen Überzeugungen anderer zu respektieren. Anyanwu machte nicht den Eindruck eines besonders religiösen Menschen, aber der Gedanke, so nahe an irgendwelche Kultgegen s tände herangekommen zu sein, daß er sich fast da r auf gesetzt hätte, bestürzte ihn.
    »Meinst du die beiden Lehmgebilde in der Ecke?«
    »Die«, erwiderte sie nur. »Meine Mütter.«
    Ahnenbilder. Jetzt erinnerte er sich. Unwillig schü t telte er den Kopf. »Ich werde sorglos«, sagte er in englischer Spr a che.
    »Was hast du gesagt?«
    »Daß es mir leid tut. Ich bin zu lange von deinem Volk fortgewesen.«
    »Es ist nicht weiter schlimm. Ich sagte schon, diese Dinge stehen hier mehr wegen der anderen. Ich muß immer ein wenig lügen. Sogar in meinem eigenen Haus.«
    »Das ist vorbei«, sagte er.
    »Diese Stadt

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