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Wilde Schafsjagd

Wilde Schafsjagd

Titel: Wilde Schafsjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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stand ich auf den Eingangsdielen fünfzehn Zentimeter höher als er; es war, als ob ich aus einem Busfenster auf jemanden hinabsähe. Wie zum Ausgleich dieses entscheidenden Höhenunterschieds beglotzte der Schafsmann mit schief gelegtem Kopf eifrig weiter den Briefkasten. Der Briefkasten war natürlich leer.
    »Kann ich reinkommen?«, haspelte der Schafsmann, ohne sich aufzurichten. Er sprach, als ob er sich über irgendetwas aufrege.
    »Bitte«, sagte ich.
    Er bückte sich und schnürte mit ein paar energischen Bewegungen seine Bergschuhe auf. An den Schuhen haftete Dreck wie Brocken trockenen Brotes. Der Schafsmann nahm die Schuhe hoch und schlug sie mit geübten Handbewegungen gegeneinander. Widerstandslos fiel der Dreck in dicken Batzen ab. Dann schlüpfte er in die bereitstehenden Pantoffeln, hüpfte vor, als kenne er das Haus wie seine Westentasche, setzte sich aufs Sofa und machte ein Gesicht wie Regenwetter.
    Der gedrungene Rumpf des Schafsmanns steckte in einem Schaffell. Das Kostüm saß ihm wie angegossen. Die angestückelten Ärmel und Beinteile waren aus Lederimitat, ebenso die Kapuze, die er aufhatte. Die beiden gewundenen Hörner oben auf der Kapuze waren allerdings echt. Links und rechts davon standen flach und waagerecht zwei offenbar mit Draht in Form gehaltene Schafohren ab. Die Ledermaske, die die obere Gesichtshälfte des Mannes verdeckte, war schwarz, ebenso die Handschuhe und die Socken. Ein vom Hals bis zum Schritt führender Reißverschluss gewährleistete ein leichtes An- und Ablegen des Kostüms.
    Der Schafsmann zog eine Packung Seven Stars und Streichhölzer aus der ebenfalls mit Reißverschluss versehenen Brusttasche, zündete sich eine an und seufzte tief auf. Ich holte den gespülten Aschenbecher aus der Küche.
    »Hätt gern Schnaps«, sagte der Schafsmann. Ich ging noch einmal in die Küche und holte eine halb volle Flasche Four Roses , zwei Gläser und Eis.
    Wir machten uns jeder einen On the Rocks und tranken, ohne uns zuzuprosten. Bis er sein Glas leer hatte, brummelte der Schafsmann ständig vor sich hin. Seine überproportional große Nase blähte sich bei jedem Atemzug, als wüchsen ihr zu beiden Seiten Flügel. Ruhelos tasteten seine von der Maske schwarz umrahmten Augen den Raum ab.
    Als er ausgetrunken hatte, wirkte der Schafsmann etwas ruhiger. Er drückte seine Zigarette aus, schob beide Hände unter die Maske und rieb sich die Augen.
    »Krieg immer Wolle rein«, sagte er.
    Ich wusste dazu nichts zu sagen und hielt deshalb den Mund.
    »Gestern Vormittag hier angekommen, nich?«, sagte der Schafsmann, sich die Augen reibend. »Hab’s beobachtet, die ganze Zeit.«
    Der Schafsmann goss sich über sein halb geschmolzenes Eis gluckernd nach und nahm einen Schluck, ohne umzurühren. »Die Frau ist am Nachmittag weg.«
    »Das haben Sie auch beobachtet?«
    »Nich beobachtet; hab sie vertrieben.«
    »Vertrieben?«
    »Hab den Kopf durch die Küchentür gesteckt und gesagt, geh lieber heim.«
    »Warum?«
    Der Schafsmann blieb stumm; er schien zu schmollen. Wahrscheinlich wusste er mit einer Frage wie »Warum?« nichts anzufangen. Aber dann, als ich mir schon eine andere Frage überlegte, kam langsam ein fremdes Glitzern in seine Augen.
    »Die Frau ist wieder ins Hotel Delfin «, sagte er.
    »Das hat sie gesagt?«
    »Hat nix gesagt. Ist bloß wieder ins Hotel Delfin .«
    »Woher wollen Sie das wissen?«
    Der Schafsmann schwieg. Die Hände auf den Knien, starrte er auf sein Glas auf dem Tisch.
    »Sie ist also ins Hotel Delfin zurück, ja?«, sagte ich.
    »Genau. Gutes Hotel, das Delfin. Riecht nach Schafen«, sagte der Schafsmann.
     

     
    Wir schwiegen wieder. Mir fiel auf, dass das Schafskostüm des Mannes fettig war und vor Dreck nur so starrte.
    »Hat sie Sie nicht gebeten, mir etwas auszurichten, als sie ging?«
    »Nix«, sagte der Schafsmann und schüttelte den Kopf. »Hat nix gesagt, hab nix gefragt.«
    »Als Sie ihr sagten, sie solle lieber heimgehen, ist sie ohne ein Wort einfach gegangen, ja?«
    »Genau. Ich hab gesagt, geh lieber heim, weil, sie wollte weg.«
    »Sie wollte doch selbst mit hierher!«
    »Gar nicht wahr!«, donnerte der Schafsmann. »Sie wollte weg ! Wusstes nur selbst nich, war völlig verwirrt. Deshalb hab ich sie verjagt. Du hast die Frau verwirrt!« Der Schafsmann sprang auf und schlug mit der flachen rechten Hand auf den Tisch. Die Whiskeygläser rutschten fünf Zentimeter zur Seite.
    Der Schafsmann blieb eine Weile so stehen; schließlich ließ das

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