Wilde Schafsjagd
ich meinen Freund oder das Schaf gefunden habe. Dafür bin ich hergekommen.«
»Der Winter hier ist schön«, wiederholte der Schafsmann. »Alles glitzert weiß. Und alles überfriert.«
Der Schafsmann lachte meckernd, dass sich seine Nüstern blähten. Er hatte ein ungepflegtes Gebiss. Zwei Schneidezähne fehlten. Der Schafsmann dachte in Sprüngen; die Luft im Zimmer schien sich wechselnd auszudehnen und zusammenzuziehen.
»Muss langsam gehn«, sagte er plötzlich. »Vielen Dank für die Zigaretten.«
Ich nickte nur.
»Hoffentlich findest du bald deinen Freund und das Schaf.«
»Hoffe ich auch«, sagte ich. »Wenn – wenn du was herausfindest, gib Bescheid, ja?«
Der Schafsmann druckste ein bisschen herum. »Mach ich, klar, geb Bescheid.«
Ich musste das Lachen unterdrücken. Der Schafsmann log einfach zu schlecht.
Er zog sich seinen Handschuh an und stand auf. »Ich komm wieder vorbei. In wie viel Tagen, weiß ich noch nich, aber ich komm wieder.« Dann, etwas unsicher: »Ich stör doch nich?«
»Keineswegs.« Eilig schüttelte ich den Kopf. »Jederzeit willkommen.«
»Gut, dann komm ich«, sagte der Schafsmann. Dann schlug er die Tür hinter sich zu. Beinahe hätte er sich den Schwanz eingeklemmt.
Ich spähte durch die Ritzen im Fensterladen. Der Schafsmann stand wieder wie zuvor vor dem Briefkasten und beglotzte die Box, von der die weiße Farbe abblätterte. Dann richtete er mit ein paar Schlenkern und Renkern sein Kostüm und lief behende quer über die Weide auf den Wald im Osten zu. Die abstehenden Ohren wippten auf und ab wie Sprungbretter im Schwimmbad. Mit zunehmender Entfernung war der Schafsmann bald nur noch als weißer, verschwommener Punkt zu sehen, der schließlich zwischen den gleichfarbigen Stämmen der Birken verschwand.
Auch nachdem er nicht mehr zu sehen war, starrte ich noch lange auf die Weide und den Birkenwald. Und je länger ich starrte, desto weniger konnte ich glauben, dass der Schafsmann bis eben noch in diesem Zimmer gewesen war.
Aber auf dem Tisch stand noch die Whiskeyflasche, im Aschenbecher lagen ausgedrückte Seven Stars , und am Sofa hafteten ein paar Strähnen Schafswolle. Ich verglich sie mit dem Zeug, das ich auf dem Rücksitz des Landcruiser gefunden hatte. Es war die gleiche Wolle.
* * *
Nachdem der Schafsmann gegangen war, briet ich mir, um meine Gedanken zu ordnen, in der Küche ein paar Frikadellen. Ich schnitt eine Zwiebel klein, taute, während sie in der Pfanne röstete, ein Stück Rindfleisch aus dem Gefrierschrank auf und drehte es durch den Fleischwolf, mittelfein.
Die Küche war eigentlich eher klein, aber ungewöhnlich gut bestückt mit Küchengeräten und Gewürzen. Wenn man nur die Straße anständig ausbaute, ließe sich damit ohne weiteres ein kleines Bergrestaurant eröffnen. Mahlzeiten bei geöffnetem Fenster mit Blick auf Schafe und blauen Himmel, nicht schlecht. Familien mit Kindern könnten auf der Weide mit den Schafen spielen, Pärchen könnten im Birkenwald spazieren gehen. Das Ding wäre ein durchschlagender Erfolg.
Ratte wäre Manager, ich würde kochen. Für den Schafsmann würde sich bestimmt auch irgendeine Aufgabe finden. Sein närrisches Kostüm würde als ganz natürlich aufgenommen werden. Für die Schafhaltung könnte man den realistischen Verwalter gewinnen. Wenigstens ein Realist sollte schon dabei sein. Ein Hund wäre nötig. Bestimmt käme auch der Schafprofessor mal vorbei.
Das träumte ich so vor mich hin, mit dem Holzspatel die Zwiebeln wendend.
Dann setzte mir drückend der Gedanke zu, dass ich meine Freundin mit den wunderschönen Ohren vielleicht wirklich für immer verloren hatte. Vielleicht hatte der Schafsmann Recht gehabt. Vielleicht hätte ich allein herkommen sollen. Vielleicht … ich schüttelte den Kopf. Und beschloss, wieder von dem Restaurant zu träumen.
Jay. Wenn Jay käme, dann ließe sich alles Mögliche machen. Er wäre der Dreh- und Angelpunkt. Freund, Vater und Tröster.
Bis die Zwiebeln kalt waren, setzte ich mich ans Fenster und starrte wieder auf die Weide.
8. EINE PASSAGE NUR FÜR DEN WIND
Danach vergingen drei ereignislose Tage. Nichts passierte. Auch der Schafsmann tauchte nicht auf. Ich kochte, aß, las, trank, wenn die Sonne unterging, einen Whiskey und ging schlafen. Morgens stand ich um sechs Uhr auf, joggte im Viertelkreis um die Weide, duschte danach und rasierte mich.
Mit jedem Morgen wurde es auf der Weide rapide kühler. Das heitere Herbstlaub der Birken wurde täglich
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