Wilde Schafsjagd
Glitzern in seinen Augen nach, und er setzte sich wie entkräftet wieder aufs Sofa.
»Du hast die Frau verwirrt«, sagte der Schafsmann, diesmal leise. »Das ist ganz schlecht. Du hast keine Ahnung. Du denkst nur an dich.«
»Das heißt, sie hätte nicht mit herkommen dürfen?«
»Genau. Die Frau hätte nich mit hierher kommen dürfen. Du denkst nur an dich.«
Ich hockte auf dem Sofa und nippte an meinem Whiskey.
»Kann man nix machen. Jetzt ist es zu spät.«
»Zu spät?«
»Die Frau siehst du nich wieder.«
»Weil ich nur an mich gedacht habe?«
»Genau. Du hast nur an dich gedacht, darum. Das hast du jetzt davon.«
Der Schafsmann stand auf, ging zum Fenster, drückte mit einer Hand und einem einzigen Stoß die schweren Flügel auf und atmete tief ein. Der Mann hatte Kraft.
»Bei so schönem Wetter müssen die Fenster auf sein«, sagte der Schafsmann. Dann ging er durchs halbe Zimmer, blieb vor dem Bücherschrank stehen und betrachtete mit verschränkten Armen die Buchrücken. Am Hinterteil seines Kostüms baumelte gar ein Schwänzchen. Von hinten sah er aus wie ein echtes, auf den Hinterläufen stehendes Schaf.
»Ich suche meinen Freund«, sagte ich.
»Und?«, sagte der Schafsmann nur, ohne sich zu mir umzudrehen.
»Er muss eine Zeit lang hier gewohnt haben. Bis vor einer Woche noch.«
»Weiß ich nix von.« Der Schafsmann blieb vor dem Kamin stehen und flippte geräuschvoll durch die Spielkarten, die auf dem Sims lagen.
»Außerdem suche ich ein Schaf mit einem Stern auf dem Rücken«, sagte ich.
»Nie gesehn«, sagte der Schafsmann.
Der Schafsmann wusste etwas von Ratte und dem Schaf, so viel war klar. Zu bewusst zeigte er sein Desinteresse. Seine Antworten kamen zu schnell und klangen gekünstelt.
Ich änderte meine Strategie, gähnte, als hätte ich bereits jedes Interesse an ihm verloren, nahm mein Buch vom Tisch und blätterte darin herum. Ein bisschen unsicher kam der Schafsmann zum Sofa zurück. Dann sah er mir eine Weile wortlos beim Lesen zu.
»Macht Lesen Spaß?«, fragte er.
»Ja«, antwortete ich schlicht.
Der Schafsmann stand wieder unschlüssig herum. Ich las weiter, ohne ihn zu beachten.
»Tut mir leid, dass ich vorhin geschrien hab«, sagte der Schafsmann leise. »Manchmal kriegt sich das Schaf in mir mit dem Menschen in mir in die Wolle. Das kommt dann bei raus. Habs nich böse gemeint. Du hast mich aber auch in die Enge getrieben.«
»Schon gut«, sagte ich.
»Dass du die Frau nich wiedersiehst, tut mir auch leid. Ist aber nich meine Schuld.«
»Schon gut.« Ich nahm die drei Päckchen Lark aus dem Rucksack und gab sie dem Schafsmann. Er schien etwas erstaunt.
»Danke schön. Die Marke kenn ich noch nich. Brauchst du sie auch nich?«
»Ich hab das Rauchen aufgegeben«, sagte ich.
»Das ist gut.« Der Schafsmann nickte ernst. »Schadet nur der Gesundheit.«
Sorgfältig verstaute er die Schachteln in seinen Ärmeltaschen. Viereckige Polster zeichneten sich ab.
»Ich muss meinen Freund ganz dringend treffen. Ich bin von weit, weit her gekommen, nur deshalb.«
Der Schafsmann nickte.
»Das Schaf auch.«
Der Schafsmann nickte.
»Sie wissen wirklich nichts?«
Der Schafsmann schüttelte traurig den Kopf. Die falschen Ohren flatterten hin und her. Dieses Mal fiel sein Nein schon schwächer aus.
»Hier ist es schön«, wechselte der Schafsmann das Thema. »Die Landschaft ist schön, und die Luft ist gut. Es wird dir bestimmt gefallen.«
»Schön ist es«, sagte ich.
»Im Winter ist es noch besser. Überall liegt Schnee und überfriert. Die Tiere schlafen alle, und Leute kommen nich.«
»Sind Sie die ganze Zeit über hier?«
»Ja.«
Ich beschloss, keine Fragen mehr zu stellen. Der Schafsmann war wie ein scheues Tier. Wenn ich auf ihn zuging, zog er sich zurück, und wenn ich mich zurückzog, kam er auf mich zu. Wozu die Eile, wenn er den ganzen Winter über hier war. Ich konnte mir Zeit lassen.
Der Schafsmann zupfte sich mit der linken Hand den rechten Handschuh ab, Finger für Finger, beim Daumen angefangen. Eine dunkle, schwielige Hand kam zum Vorschein, klein, aber nicht knochig; über den Handrücken lief vom Daumengelenk bis zur Mitte hin eine alte Brandnarbe.
Der Schafsmann besah sich seinen Handrücken; dann drehte er die Hand um und besah sich die Innenfläche. Eine alte Gewohnheit von Ratte.
Aber Ratte konnte nicht der Schafsmann sein. Er war über zwanzig Zentimeter größer.
»Bleibst du die ganze Zeit hier?«, fragte der Schafsmann.
»Nein, nur bis
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