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Wilde Schafsjagd

Wilde Schafsjagd

Titel: Wilde Schafsjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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offensichtlich lange Zeit nicht benutzt worden war. Ratte rauchte nicht! Ich rollte den Filter eine Weile in meiner Hand und warf ihn dann wieder dorthin, wo er gelegen hatte.
    Ich schob den schweren Riegel zurück und öffnete das Tor. Die Garage war sehr geräumig; das durch die Ritzen in der Bretterwand einfallende Sonnenlicht malte ein klares Muster paralleler Linien auf den schwarzen Boden. Es roch nach Erde und Benzin.
    Der Wagen war ein alter Toyota Landcruiser . Weder Chassis noch Reifen waren im Geringsten verschmutzt. Der Tank war fast voll. Ich tastete an der Stelle herum, wo Ratte immer seine Autoschlüssel versteckte. Sie lagen da, wie erwartet. Ich ließ den Wagen versuchsweise an; der Motor kam sofort, sonor brummend. Ratte hatte seine Wagen immer mit viel Geschick gepflegt. Ich stellte den Motor ab, legte den Schlüssel an seinen Platz und sah mich vom Fahrersitz aus ein bisschen um. Etwas Besonderes lag im Wagen nicht herum. Eine Straßenkarte, ein Handtuch und eine halbe Tafel Schokolade. Auf dem Rücksitz lagen eine Rolle Draht und eine große Zange. Der Rücksitz war für einen Wagen von Ratte ungewöhnlich schmutzig. Ich öffnete den hinteren Schlag, klaubte, was da am Sitzpolster haftete, in einer Hand zusammen und hielt es in das durch ein Astloch in der Wand einfallende Sonnenlicht. Das Zeug sah aus wie Kissenfüllung. Oder Schafwolle. Ich zog ein Papiertaschentuch aus der Hosentasche, wickelte das Zeug ein und steckte es in meine Brusttasche.
    Mir war nicht klar, warum Ratte das Auto nicht benutzt hatte. Entweder war er ins Tal gelaufen , hatte den Wagen also stehen lassen, oder er war gar nicht ins Tal hinunter, also noch hier. Beides machte keinen Sinn. Den Felsweg hätte man mit dem Auto noch bis vor drei Tagen problemlos passieren können, und dass Ratte das Haus geräumt hatte und hier oben im Freien übernachtete, konnte ich mir nicht vorstellen.
    Ich gab meine Überlegungen auf, machte das Garagentor hinter mir zu und ging zur Weide. Aus unvernünftigen Indizien lässt sich bei allem Nachdenken kein vernünftiger Schluss ziehen.
    Dampf stieg von der Weide hoch, je höher die Sonne kletterte. Der Berg dahinter verschwamm im Dunst. Alles roch nach Gras.
    Ich lief durch das feuchte Gras bis zur Mitte der Weide. Dort, ziemlich im Zentrum, lag ein alter, ausgedienter Autoreifen. Der Gummi war schon völlig verblichen und rissig. Ich setzte mich auf den Reifen und schaute mich rings um. Das Haus, aus dem ich gekommen war, sah aus wie ein weißer, über das Meer vorspringender Felsen.
    Allein inmitten der Weide auf dem Reifen hockend, erinnerte ich mich an die Langstreckenschwimmfeste, an denen ich als Kind oft teilgenommen hatte. Etwa in der Mitte der zwischen zwei Inseln zu durchschwimmenden Strecke hatte ich meistens pausiert und mir die Landschaft angesehen. Und jedes Mal hatte mich dabei ein seltsames Gefühl ergriffen. Sich in gleicher Entfernung von zwei Punkten zu befinden war irgendwie merkwürdig, und merkwürdig war auch, dass die Leute in der Ferne auf dem Land weiter ihren alltäglichen Beschäftigungen nachgingen. Am merkwürdigsten aber war, dass die Gesellschaft auch ohne mich reibungslos funktionierte.
    Ich blieb eine Viertelstunde müßig auf dem Reifen hocken, schlenderte dann ins Haus zurück, setzte mich im Wohnzimmer aufs Sofa und las weiter in den Abenteuern des Sherlock Holmes .
    Um zwei Uhr kam der Schafsmann.

7. DER SCHAFSMANN KOMMT
    Die Uhr hatte gerade zwei geschlagen, als es an die Tür klopfte. Zuerst zweimal, dann, nach zwei Atemzügen Pause, dreimal.
    Es dauerte eine Weile, bis mir ins Bewusstsein drang, dass es klopfte . Ich hatte nicht im Traum daran gedacht, dass jemand hier anklopfen könnte. Ratte würde gewiss einfach so hereinkommen – schließlich war es sein Haus. Der Verwalter würde wohl nur einmal klopfen und dann, ohne auf Antwort zu warten, selbst öffnen. Meine Freundin – nein, das war ausgeschlossen. Sie würde mit einer Tasse Kaffee in der Hand sachte durch die Küchentür treten. Sie war nicht der Typ, der anklopfte.
    Ich öffnete; draußen stand ein Schafsmann. In einer Pose, als interessiere ihn weder die Tür besonders, die aufgegangen war, noch der, der sie geöffnet hatte, stand er etwa zwei Meter vom Eingang entfernt und beglotzte den Briefkasten, als wäre es ein Wunderding. Der Schafsmann war nur eine Idee größer als der Briefkasten. Um die eins fünfzig wohl. Außerdem hatte er einen Buckel und Beine wie Krummsäbel.
    Zudem

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