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Wilde Schafsjagd

Wilde Schafsjagd

Titel: Wilde Schafsjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Aber ich hab nicht viel mitzunehmen. Was zum Wechseln und Waschzeug. Du brauchst auch nicht soo viel Gepäck. Was wir brauchen, können wir kaufen, sobald wir da sind. Geld haben wir genug.«
    »Das muss so sein, ich mag das.« Sie lachte. »Ohne großes Gepäck habe ich nicht das Gefühl, auf Reisen zu gehen.«
    »Wenn du meinst.«
    Durchs offene Fenster drang Vogelgekreisch. Gekreisch, wie ich es noch nie gehört hatte. Neue Jahreszeit, neue Vögel. Ich hielt meine flache Hand in die warme Nachmittagssonne, die durchs Fenster strahlte, und legte sie ihr sacht auf die Wange. So verharrten wir lange. Ich betrachtete eine weiße Wolke, die von Rahmen zu Rahmen das Fenster durchwanderte.
    »Was ist los?«, fragte sie.
    »Es hört sich vielleicht komisch an, aber mir kommt es vor, als wäre jetzt nicht jetzt. Als wäre ich nicht ich. Hier nicht hier. Das war schon immer so. Erst im Nachhinein, viel später, fügt sich alles zusammen. Seit zehn Jahren.«
    »Warum gerade seit zehn Jahren?«
    »Nur so. Ist leichter zu merken.«
    Sie lachte, hob den Kater hoch und setzte ihn sacht auf dem Boden ab. »Nimm mich in die Arme.«
    Ich legte mich zu ihr aufs Sofa. Das Polster des betagten Stücks, das ich gebraucht erworben hatte, roch nach alten Zeiten. Ihr biegsamer Körper lag darin eingetaucht, damit verschmolzen, sanft und warm wie eine leise Erinnerung. Ich strich mit einem Finger ihr Haar zur Seite und küsste sie aufs Ohr. Unmerklich zitterte die Welt. Eine kleine, eine wirklich kleine Welt. Die Zeit verstrich dort wie ein Windhauch.
    Ich knöpfte ihre Bluse ganz auf, umfasste mit beiden Händen ihre Brüste und betrachtete ihren Körper.
    »Ich bin da«, sagte sie. »Lebendig.«
    »Lebendig?«
    »Ja. Meine Brüste, mein Körper.«
    »Ohne Frage«, sagte ich. »Lebendig.«
    Wie still es war! Kein Laut ringsum. Alle außer uns waren irgendwohin ausgegangen, den ersten Tag des Herbstes zu feiern.
    »Du, ich mag das sehr«, flüsterte sie.
    »Hm.«
    »Ein schönes Gefühl, wie – wie Picknicken.«
    »Picknicken?«
    »Ja.«
    Ich legte beide Arme um sie und drückte sie fest an mich. Dann strich ich ihr mit den Lippen das Haar aus der Stirn und küsste sie noch einmal aufs Ohr.
    »Waren die zehn Jahre lang?«, fragte sie leise, dicht an meinem Ohr.
    »Sehr lang«, sagte ich. »Eine Ewigkeit. Und ich habe nichts zu Ende gebracht.«
    Sie drehte ein wenig den Kopf, der auf der Sofalehne ruhte, und lächelte mich an. So hatte mich schon einmal eine Frau angelächelt, aber ich wusste nicht mehr, welche, auch nicht, wo und wann. Frauen, die ihre Kleider abgelegt haben, haben etwas geradezu erschreckend Gemeinsames, etwas, das mich immer wieder verwirrte.
    »Suchen wir das Schaf«, sagte sie mit geschlossenen Augen. »Wenn wir es finden, wird alles gut.«
    Ich betrachtete eine Weile ihr Gesicht, dann ihre Ohren. Wie in einem alten Stillleben umhüllte das warme Nachmittagslicht sacht ihren Körper.

7. VON BEGRENZTEM, ABER HARTNÄCKIGEM DENKEN
    Um sechs Uhr zog sie sich an, bürstete sich vor dem Badezimmerspiegel die Haare, besprühte sich mit Eau de Cologne und putzte sich die Zähne. Ich saß währenddessen auf dem Sofa und las Die Abenteuer des Sherlock Holmes . Das Buch beginnt mit den Worten: »Der Verstand meines Freundes Watson hat gewisse Grenzen, aber er kann ungemein hartnäckig sein.« Ein prächtiger Anfangssatz.
    »Heute wird es spät, geh ruhig vor mir zu Bett«, sagte sie.
    »Arbeit?«
    »Eigentlich wäre heute mein freier Tag, aber da ich ab morgen Urlaub genommen habe, hat man’s vorverlegt. Schade, aber nicht zu ändern.«
    Kurz nachdem sie weg war, ging noch einmal die Tür auf.
    »Sag mal, was machen wir denn mit dem Kater, solange wir nicht da sind?«
    »Meine Güte, den hab ich ganz vergessen! Ich kümmer mich drum!«
    Damit ging die Tür wieder zu.
    Ich holte Milch und Käsestangen aus dem Kühlschrank und fütterte damit den Kater. Mit den Käsestangen hatte er schon seine Probleme. Seine Zähne taugten nicht mehr viel.
    Da für mich nichts Essbares im Kühlschrank war, trank ich bloß ein Bier und schaute mir die Fernsehnachrichten an. Keine Nachrichten, die Nachrichten gewesen wären an diesem Sonntagabend. In solchen Fällen zeigen sie meistens Bilder aus dem Zoo. Ich schaute mir die Giraffen und die Elefanten an. Nach den Pandas schaltete ich ab und griff zum Telefon.
    »Es geht um den Kater«, sagte ich dem Mann.
    »Welchen Kater?«
    »Ich habe einen Kater.«
    »Und?«
    »Wenn ich niemanden finde, der

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