Wilde Wellen
sein Testament noch nicht geändert hatte, musste sie ja nicht erfahren. Genauso wenig wie Caspar. Claire schaltete den CD -Player mit der indischen Musik, die ihre Qi-Gong-Ãbungen immer begleitete, aus. Es hatte keinen Sinn, die Ãbungen zu machen, wenn sie sich nicht darauf konzentrieren konnte. Seit Leon verschwunden war, konnte sie sowieso nichts anderes denken als das, wie es nun weitergehen würde. Ohne ihn. Denn auch wenn sie sich anfangs hatte einzureden versucht, dass er den Segelunfall überlebt hatte â inzwischen war sie bereit zu akzeptieren, dass es anders war. Ihr Mann war tot. Sie hatte getobt und geschrien, als die Polizei ihr mitgeteilt hatte, dass man die Suche nach Leon einstellen würde. Dass es keine Chance gebe, ihn nach mehr als zwei Tagen, die er verschollen war, noch lebend zu finden. Sie hatte gedroht, sich mit dem Polizeipräsidenten in Verbindung zu setzen. Und wenn das nichts nutzen würde, die Presse einzuschalten. Doch als der Schock, der sie gelähmt hatte, abgeklungen war, hatte sie eingesehen, dass sie sich der Realität stellen musste. Ihr Mann war nicht mehr am Leben. Und sie, als seine Witwe hatte nun die Pflicht, alles zu regeln. Sicher, Maître Jumas hatte ihr klargemacht, dass es eine Weile dauern würde, bis man einen Menschen, der bei einem Schiffsunglück verschollen war, für tot erklären lassen konnte. Und so lange würde es auch dauern, bis das Testament eröffnet werden konnte. War das nicht auch eine Chance? Solange das Testament verschlossen bei Maître Jumas lag, gab es niemanden auÃer ihm und ihr, der seinen wahren Inhalt kannte. Sie konnte also ruhig Caspar und Eva gegenüber behaupten, dass das Testament geändert worden war. Caspar würde sich in seine Aufgaben und Pflichten finden. Eva würde, möglicherweise untröstlich, aber zu stolz, um Leons letzten Willen anzufechten, in ihr Leben in Deutschland zurückkehren. Und wer weiÃ, vielleicht würde sich ja unter Leons Unterlagen ein Exemplar seines geänderten Testaments finden, das schlieÃlich, wenn sein Tod amtlich bestätigt sein würde, auftauchen würde? Sie atmete tief durch. Die Phase der Schwäche war überwunden. Sie hatte die Zügel wieder in der Hand. Wenn nun auch noch Florence bei Paul Racine erfolgreich war, würde sie nichts mehr zu fürchten haben.
Claires Anruf erreichte Caspar im Hafen von Brest, wo er gerade den Scheck für die Motoryacht unterschrieb, die er gekauft hatte. Das Schiff hatte er nun. Eine groÃe luxuriöse Yacht mit einem starken Motor. Die einige Monate lang sein Zuhause sein würde. Und das von Marie. Nicht mehr lange, und sein Traum würde in Erfüllung gehen.
»Ich habe vor, eine Feier für Leon auszurichten. Man muss den Leuten, die ihn gekannt und geliebt haben, die Möglichkeit geben, seiner zu gedenken.«
»Du willst eine Trauerfeier veranstalten? Bevor klar ist, was mit Papa geschehen ist?« Caspar war überrascht über den Sinneswandel seiner Mutter. Hatte sie sich nicht gerade noch an die Idee geklammert, dass Leon lebte? Dass er jeden Augenblick zurückkommen konnte?
»Es soll keine Trauerfeier sein. Eher ein Moment des Erinnerns an ihn. An sein volles, glückliches Leben. An seine Liebe und seine Fürsorge für uns. Und an sein Lebenswerk, die Firma. Ich bin sicher, er wird spüren, wenn wir zusammenkommen und an ihn denken. Und wo auch immer er sein mag, es wird ihn in seinem Herzen berühren.«
Seine Mutter hatte es zeit seines Lebens geschafft, ihn zu überraschen. Woher nahm sie jetzt diese Stärke und Entschlossenheit? Hatte sie sich nun tatsächlich mit Leons Tod abgefunden? Caspar wusste nicht, ob ihm diese neue Wendung gefallen sollte. Was bezweckte seine Mutter wirklich mit so einer Feier? Wollte sie vor allen die trauernde Witwe geben? Wollte sie sich im Mitgefühl von Leons Freunden suhlen? Oder war sie wirklich bereit, das Kapitel ihres Lebens mit Leon Menec abzuschlieÃen? Eigentlich konnte ihm das nur recht sein. Je besser sie sich fühlte, desto eher konnte er verschwinden. Er würde kein schlechtes Gewissen haben müssen, sie allein zu lassen. Sie würde zurechtkommen. Ohne Leon. Und ohne ihn. Natürlich würde er ihr helfen, die Feier zu gestalten. Er würde mit Michel über das Essen reden. Und mit Madame Satie über den Blumenschmuck. Und wenn es sein musste, würde er auch für
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