Wilder als der Hass, süsser als die Liebe
Kämmerer, gewiß habt Ihr gehört, warum ich nach Buchara gekommen bin.
Ist mein Bruder, der britische Major Cameron, noch unter den Lebenden?«
Die dunklen Augen des Kämmerers wurden undurchdringlich. »Dies ist ein Thema, das Ihr mit dem Höchsten besprechen müßt. Ich bin nichts als ein unwissender Diener.« Während er einen Krug öffnete, fügte er hinzu: »Extra für Euch haben wir Tee mit Milch und Zucker mitgebracht. Das ist doch die englische Angewohnheit, nicht wahr?«
»Das ist sie wirklich. Einmal mehr fühle ich mich durch Eure Aufmerksamkeit geschmeichelt.«
Es war das beste Mahl, das Ross seit Wochen eingenommen hatte, und da er gerade einen Aufschub seiner Hinrichtung erhalten hatte, genoß er es gründlich. Juliet griff ebenso zu, obwohl sie nichts sagte. Sie war ganz in die Rolle des finsteren, rätselhaften Wüstennomaden eingetaucht, dessen Blicke wachsam umherglitten, als würde sie einen plötzlichen Angriff erwarten. Sie hatte sich ihr Essen gegriffen und sich ein wenig von den anderen entfernt niedergelassen.
Die Bucharer sahen interessiert zu, wie sie das Essen unter ihrem Schleier zum Mund brachte. »Der Sklave ist ungezähmt. Der Ferengi hat Glück gehabt, daß er nicht sein Gold und vielleicht auch sein Leben genommen hat«, sagte einer der Untergebenen zum anderen.
Ross ignorierte die Bemerkung; er hatte beschlossen, sein fließendes Persisch zu benutzen, um mit den Beamten vernünftig sprechen zu können, wollte aber nicht enthüllen, daß er auch Usbekisch sprach, denn vielleicht würde er so eine Chance bekommen, etwas zu hören, was; nicht für seine Ohren bestimmt war. Und selbst wenn es keine nützlichen Informationen gab, hatte er wenigstens innerlich etwas zu lachen.
Als er seine Mahlzeit beendet hatte, fragte der Großkämmerer: »Euer Sklave ist ein Targi aus der Sahara, nicht wahr? Ein- oder zweimal habe ich einen aus seinem Stamm in Buchara gesehen.« »Aye, aber er ist ein Diener, kein Sklave. Bei seinem Volk ist er hoch angesehen.. Er dient mir nur, solange es ihm gefällt.« Ross biß in eine reife, saftige Dattel. »Die Tuareg sind großartige Diebe. In ihrer Sprache bedeuten die Worte >plündern< und >frei sein< dasselbe. Aber Jalal tut gewöhnlich immer das, was ich möchte, und er kann gut mit Kamelen umgehen:«
»Spricht oder versteht er Persisch?«
»Ein bißchen, glaube ich.« Ross zuckte gelangweilt die Schultern, womit er deutlich zeigen wollte, wie unwichtig er das Thema Diener fand. »Man kann nie genau sagen, wieviel er versteht.« »Der Kerl hat ungewöhnliche graue Augen, eher wie ein Belutsche«, bemerkte der Kämmerer sinnend, den Blick immer noch auf Juliet geheftet. »Man sagt, die Tuareg seien eine gutaussehende Rasse.«
»Die Frauen, die unverschleiert herumlaufen, sind sehr hübsch. Was Jalal betrifft, weiß ich es nicht, denn ich habe ihn noch nie ohne Schleier gesehen.«
Schließlich war die Neugier befriedigt und sein Gegenüber stand auf. »Und nun, Lord Kilburn, reiten wir nach Buchara.«
Die Seidenstraße hatte Buchara in die reichste Oase in Zentralasien verwandelt und zu einer überheblichen Zitadelle in einer kargen, entbehrungsreichen Wüste, die sie umgab, gemacht. Die Stadt hatte sich seit Ross' Besuch vor Jahren nicht verändert; vermutlich waren die massiven Mauern und die luftigen Wachtürme seit Jahrtausenden die gleichen.
Als sie das gewaltige Westtor erreichten, zügelte Ross sein Kamel und machte sich bereit, abzusteigen. Der Kämmerer runzelte die Stirn. »Warum haltet Ihr an?«
Ross zog die Augenbrauen hoch. »Ist es Ungläubigen nicht verboten, in der Stadt zu reiten?«
»Gewöhnlich ja, aber für die, die in des Emirs Gunst stehen, werden Ausnahmen gemacht«, erklärte der Kämmerer. »Natürlich werdet Ihr absteigen müssen, wenn wir den königlichen Palast erreichen. Selbst ich werde das tun, denn nur der Emir und seine Granden dürfen innerhalb der Palastmauern reiten.«
Ross nickte und trieb sein Kamel wieder an. Als er und Alex Burnes damals hier gewesen waren, hatten sie nicht nur in der Stadt auf ihre Tiere verzichten, sondern sich auch in bescheidenere Stoffe kleiden müssen, weil sie Ungläubige waren. Und da sie als Privatleute und nicht im offiziellen Auftrag der britischen Regierung gereist waren, hatten sie sich allen Bräuchen gebeugt, um nicht unangenehm aufzufallen.
Die Stadt war dominiert von Minaretten und Kuppeln. Buchara war eine der heiligen Städte des Islam, und es hieß, ein guter
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