Wilder als der Hass, süsser als die Liebe
Falsches zu erzählen als zu schweigen.«
»Vielleicht tust du nur so, als ob, das aber sehr gut. Mich hast du jedenfalls überzeugt.« Sie blickte wieder nach unten, um die letzten Stiche in dem Hemd anzubringen, das sie gerade ausbesserte, dann verknotete sie den Faden und biß ihn ab. »Dein Hemd ist fertig. Mir geht langsam die Arbeit aus. Vielleicht hätte ich doch besser aufgepaßt, als mir meine Mutter das Stricken beibringen wollte.«
Juliet wollte aufstehen, um das Kleidungsstück in Ross' Zimmer zu bringen, doch er stand bereits vor ihr, um es ihr abzunehmen. Einen Augenblick lang trafen sich ihre Blicke und hielten einander fest. Juliet hielt unwillkürlich den Atem an, als sie den wilden Schmerz in seinen Augen sah. Die ganzen letzten Wochen über war Ross ein Muster an Zurückhaltung gewesen, doch nun erkannte sie, was diese Zurückhaltung ihn kostete. Die eiserne Kontrolle, die sie so an ihm bewunderte, war bis zum äußersten strapaziert worden, und die Erkenntnis, wie nah sie am Abgrund standen, entsetzte sie. Es würde praktisch nichts brauchen, um sich ihrem Verlangen und der Erfüllung hinzugeben. Und der Katastrophe auszuliefern.
Sie riß ihren Blick los und haßte sich für ihre Feigheit. Ross trat ein paar Schritte zurück. »Ich habe Schwierigkeiten, mir dich mit einer solch friedvollen Aufgabe wie Stricken vorzustellen«, bemerkte er, wobei seine Stimme fast normal klang. »Vielleicht solltest du es mal mit Schnitzen versuchen. Ein Messer scheint mir passender für dich als eine Stricknadel.« Dann wünschte er ihr gute Nacht und zog sich in sein Schlafzimmer zurück.
Die ganze Begegnung hatte nur Sekunden gedauert, und das scharfe Verlangen ebbte ab, als wäre es nie aufgeflammt. Juliet löschte die Lampen und rollte sich auf ihrem Lager zusammen.
Mit der Ausnahme der ersten Nacht in Buchara, als sie Ross' Baumwollgewand getragen hatte, schlief sie in ihren Tuareg- Kleidern, wobei sie den Tagelmoust sofort hochziehen konnte, falls es nötig werden sollte. Wenigstens mußte sie hier, wo man die Tür verriegeln konnte, nicht mehr verschleiert schlafen.
Im Schlafzimmer brannte noch eine Lampe, und sie konnte das Kratzen einer Feder auf Papier hören. Immer der gelehrte Beobachter, machte Ross selbst jetzt Notizen über das, was er in Buchara erlebte. Juliet nahm an, daß es seine Art war, mit der Anspannung fertig zu werden. Was sie betraf, so lag sie einfach nur still da und biß auf ihren Schleier, bis sie sich langsam entspannen konnte.
Sie war gerade erst in einen leichten Schlummer geglitten, als jemand an die Tür zu hämmern begann. Augenblicklich wach, sprang sie auf, zog ihren Schleier über das Gesicht und öffnete die Tür. Ein halbes Dutzend Soldaten schoben sie beiseite und drängten herein. Ihr Anführer war der Jawer Shahid Mahmud, der Befehlshaber von Nawabs Wache.
Als Ross hemdsärmelig aus seinem Schlafzimmer kam, bellte Shahid: »Mitkommen, Ferengi-Schwein. Seine Majestät wünscht dich auf der Stelle zu sehen.« Das breite Gesicht des Jawers leuchtete in einem solchen Triumph, daß es Juliet kalt den Rücken herunterlief. Er hatte Ross von Anfang an gehaßt, und nun freute er sich offen über den Sturz seines Feindes.
Ross wurde sehr still. Er wußte, was das zu bedeuten haben mußte. »Also gut«, antwortete er ruhig, während er seine Ärmel, die er aufgekrempelt hatte, wieder nach unten schob. »Einen Augenblick. Ich ziehe meine Jacke an.« So gelassen, als wäre er nur zum Tee eingeladen, wandte er sich um und eilte ins Zimmer zurück.
Eine kurzen Moment überlegte Juliet, ob er mit seiner Pistole zurückkehren und versuchen würde, sich den Weg freizukämpfen, und ihre Hand schloß sich um den Griff ihres Dolches, so daß sie ihm würde helfen können. Aber dann wurde ihr bewußt, daß Ross zu vernünftig war, um sich mit sechs bewaffneten Männern anzulegen, und als er nun zurückkam, waren seine Hände leer. Er suchte kurz Juliets Blick, und obwohl seine Miene so leidenschaftslos wie eine Marmormaske war, enthielten seine Augen jedoch eine Botschaft. Dann fauchte der Jawer, daß sie schon genug Zeit verschwendet hatten, und der Moment war vorbei. Die Soldaten umringten Ross und führten ihn hinaus. Als die Tür sich hinter ihnen schloß, wußte Juliet, daß Ross sie an ihr Versprechen hatte erinnern wollen, keine Dummheiten zu machen. Und er hatte ihr Lebewohl gesagt.
Zum ersten Mal in ihrem Leben war Juliet buchstäblich gelähmt vor Angst. Sie sank auf
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