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Wilder als der Hass, süsser als die Liebe

Titel: Wilder als der Hass, süsser als die Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Jo Putney
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des Gebäudekomplexes näherte. Augenblicklich vertrat ihr ein Wächter mit Lanze und Schwert den Weg. »Halt!« bellte er.
    Sie hielt an, wich aber nicht zurück. Statt dessen ließ sie ihre Hand unauffällig in Messernähe gleiten und starrte auf den Wachmann herab, der einige Zentimeter  kleiner als sie war. Dann sagte sie im gutturalsten Persisch: »Bin ich ein Gefangener?«
    Er zögerte, offensichtlich unsicher, wie der Status des Targi war, und kam dann augenscheinlich zu dem Schluß, daß der wilde Diener des Ferengis nicht von Bedeutung war. Er trat zur Seite. Ohne zurückzusehen, eilte Juliet zügig durch die Gassen, als wüßte sie genau, wo sie hinwollte. Saleh hatte ihr eine Karte der Stadt gezeichnet und die Hauptstraßen und wichtigsten Gebäude markiert, und nun wollte sie sich so schnell wie möglich orientieren. Zum Glück war die leuchtende, türkise Kuppel der großen Moschee ein Wegzeichen, das praktisch in der ganzen Stadt zu sehen war, und dadurch kam sie zielsicher am Registan an.
    Es war viel interessanter, das Leben der Straßen zu Fuß zu entdecken als vom Kamelrücken aus. Hier schien man schlichtes Kleiden nicht als Tugend zu betrachten. Jeder, der es sich leisten konnte, trug Gewänder aus prächtig gefärbter Ikat-Seide. Die Stoffe waren das berühmteste Produkt Bucharas - die Stadt war nicht nur einer der wichtigsten Oasen an der Seidenstraße, sie exportierte auf ihr auch viel.
    Saleh hatte Juliet einmal erzählt, daß viele Familien Seidenraupen zu Hause züchteten, die Eier ausbrüteten, die verfressenen Zöglinge mit zarten Maulbeerblättern fütterten und später geduldig die wertvollen Kokons einsammelten. Mit einem schwachen Lächeln hatte er hinzugefügt, daß die Seidenraupen eine Sache war, die er nicht an zu Hause vermißte.
    Auf dem Registan kaufte Juliet ein köstliches Gemisch aus zerstoßenem Eis und Traubensaft, das man rahat ijan, die Freude des Lebens, nannte. Intelligent ausgetüftelte Eishäuser machten es für jeden Bewohner Bucharas möglich, selbst im Sommer kühle  Getränke zu genießen. Dies  war ein Luxus, den Juliet in England niemals erfahren hatte, aber natürlich brauchte man in Britannien auch kein Eis. Eher das Gegenteil.
    Nachdem sie sich ihren Weg um den gewaltigen Platz gebahnt hatte, drang sie in das Gewirr enger, gewundener Gassen ein, um das Viertel zu finden, in dem Salehs Bruder lebte. Geführt durch die Karte und ihren exzellenten Orientierungssinn, schaffte Juliet es, ihr Ziel zu erreichen, ohne sich ernsthaft zu verirren.
    Salehs Bruder Tura war ein Meisterweber, und sein Haus bezeugte den Wohlstand, den der Seidenhandel erbrachte. Der Diener, der ihr die Tür öffnete, wußte Bescheid, daß sie erwartet wurde, und er brachte sie augenblicklich in einen elegant ausgestatteten Raum, wo Saleh und Murad einen spätmorgendlichen, mit Kardamom gewürzten Tee genossen.
    Die drei tauschten so begeistert Grüße aus, als wären sie monatelang voneinander getrennt gewesen und nicht nur vierundzwanzig Stunden. Saleh war über das erste Wiedersehen mit seinem Bruder seit über dreißig Jahren in Hochstimmung, bekundete jedoch durch besorgt gerunzelte Stirn sein Mitgefühl für den Tod von Ian Cameron und die schreckliche Audienz beim Emir. Dann wiederholte er, was sein Bruder ihm über die gefährliche Unberechenbarkeit des Emirs und die giftige Atmosphäre von Mißtrauen und Verrat erzählt hatte, die der Herrscher absichtlich schürte. Es war gut gewesen, daß Juliet und Ross am Abend zuvor so umsichtig gewesen waren, denn in Abdul Samut Khans Haushalt gab es ganz bestimmt Spitzel, die möglicherweise verschiedenen Herren dienten.
    Es war eine ernüchternde Unterhaltung, und als Juliet sich schließlich auf den Rückweg machte, hatte sie viel von der anfänglichen Begeisterung, eine neue exotische Stadt zu erforschen, verloren. Je mehr sie über Buchara erfuhr, desto mehr begriff sie, wie gefährlich ihre Situation tatsächlich war. Ross hatte das von Anfang an gewußt, und er hatte genug Mut besessen, trotzdem zu kommen. Er hatte immer schon eine Engelsgeduld und eine Ausgeglichenheit gehabt, die Juliet fehlte. Und nun war sie entschlossen, ihr Bestes zu geben, um es ihm nachzumachen.

Kapitel 18
    Die anstrengenden Tage, die folgten, strapazierten Juliets Entschluß aufs -äußerste. Sie war frei, konnte kommen und gehen, wann es ihr paßte; Ross' Stellung in dem Haus aber war, wie sie es vermutet hatten, irgend etwas zwischen Gast und Gefangenen.

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