Wilder als der Hass, süsser als die Liebe
bekomme und es nicht aufgeben will?«
»Das wollte ich dir damit auch nicht nahelegen. Ich möchte nur sicherstellen, daß jeder meiner Erben das bekommen kann, was ihm zusteht.« Sein Tonfall wurde rauher. »Das ist wahrscheinlich die einzige Hoffnung auf ein Kind, die ich je haben werde. Wenn der Emir meint, er müßte mir in den nächsten Tagen den Kopf kürzen, dann würde ich gerne mit dem Wissen sterben, daß ich vielleicht etwas Wertvolles hinterlassen habe.«
Juliet hatte nicht gewußt, daß es ihm soviel bedeutete, ein Kind zu haben. Sie hatte nicht gewagt, es sich einzugestehen. Leise versprach sie: »Mach dir keine Sorgen. Wenn . .. wenn das, worüber wir reden, wirklich eintreffen wird, dann werde ich alles tun, daß dein Kind die Zukunft bekommt, die du für es gewünscht hättest. Vertrau mir.«
»Ich vertraue dir.« Er nahm ihre Hand. »Ich versuche nur, die Dinge so einfach wie möglich zu gestalten.«
Wenn Ross starb, würde nichts mehr einfach sein. Juliet schloß die Augen, um die brennenden Tränen zurückzuhalten. Sie hatte heute bereits einmal geweint, und das war schon einmal zuviel gewesen. Sie war dankbar, daß ein Klopfen an der Tür ertönte, bevor sie etwas sagen mußte.
Der Diener brachte eine Einladung für Lord Kilburn, mit Abdul Samut Khan zu Abend zu essen. Ross murmelte etwas Unflätiges. »Ich habe seine Gesellschaft leidlich satt, aber ich denke, ich habe keine Wahl.« Lauter rief er, daß es Zeit für ein Bad war, und befahl, Wasser hinaufbringen zu lassen.
Nachdem Ross gebadet und sich zu seinem Gastgeber aufgemacht hatte, ließ Juliet sich ins Wasser fallen und eine lange Zeit einweichen, um den Streß der letzten vierundzwanzig Stunden von sich wegspülen zu lassen. Dann, sauber und trocken, setzte sie sich nieder und überarbeitete in Gedanken ihre Fluchtpläne Schritt für Schritt und notierte sich Fragen, die geklärt werden mußten.
Endlich kehrte Ross vom Essen zurück. Juliet war sich nicht sicher gewesen, wie der Abend wohl enden würde, doch Ross machte es ihr sehr einfach, indem er nur gähnte und ihr seine Hand bot. »Es ist spät, Juliet. Gehen wir ins Bett.«
Seine Hand zu nehmen und mit ihm zu gehen, schien das Natürlichste auf der Welt zu sein.
Kapitel 21
Fünf Tage nach Ross' schicksalhaftem Gespräch mit dem Emir traf Juliet sich heimlich mit Muhammad und Hussayn Kasem. Da sie wußte, daß sie nicht einfach in ihrer TuaregVerkleidung zum Haus der reichen Händler marschieren konnte, ohne den allgegenwärtigen Spitzeln Bucharas aufzufallen, hatte sie eine Nachricht geschickt, in der sie ihnen mitteilte, sie würde in deren Stoffgeschäft kommen, wo sie im steten Kundenstrom nicht auffallen würde.
Als sie in das schattige Innere des Ladens trat, kam Hussayn auf sie zu, als wäre sie nur ein ganz normaler Interessent, doch er brauchte nicht lange, um sie unter dem Vorwand, in seinen Beständen nachzuschauen, in den hinteren Teil des Ladens zu führen. Der Laden war ein Labyrinth aus kleinen Räumen, die alle mit Stoffballen vollgestopft waren, welche in den herrlichsten Farben und Mustern leuchteten. Indem er einen letzten bestickten Vorhang zur Seite zog, bedeutete ihr Hussayn, in eine dick mit Teppich ausgelegte Kammer zu treten, wo bereits sein Vater mit gekreuzten Beinen vor einem Samowar saß.
Ohne Eile bewirteten die Kasems ihren Gast mit Tee und gewürzten Kuchen, während man sich nach dem gegenseitigen Befinden erkundigte. Nachdem der Etikette Genüge getan war, begann Muhammad: »Ich habe gehört, daß Kilburn inzwischen in Abdul Samut Khans Haus festgehalten wird. Das ist beunruhigend, denn Major Cameron wurde ebenso behandelt, bevor er in den Schwarzen Brunnen gebracht wurde.«
»Was du gehört hast, stimmt.« Vorsichtig setzte Juliet ihre kostbare Porzellantasse ab. »Kilburn ist der Meinung, daß der Emir ihn nicht friedlich gehen lassen wird, also müssen wir seine heimliche Flucht planen. Er hat mich geschickt, euch um Hilfe zu bitten.«
»Er muß nicht bitten, denn es wird uns eine große Ehre sein, ihm behilflich zu sein«, entgegnete Muhammad würdevoll. »Was können wir tun?«
»Aus dem Haus des Nawabs zu fliehen, wird relativ einfach sein, aus der Stadt herauszukommen jedoch schwierig. Die Tore sind ständig bewacht. Außerdem brauchen wir turkmenische Pferde, und wahrscheinlich bekommt man solche Reittiere nicht in der Stadt.« Juliet zog eine kleine Börse hervor, in der Goldmünzen klimperten, und legte sie neben den
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