Wilder als der Hass, süsser als die Liebe
exekutiert oder erst noch in den Schwarzen Brunnen geworfen werden würde, und wenn letzteres eintraf, wie lange er dann wohl überleben würde.
Niemand bot eine Wette darauf an, daß der Ferengi gesund und munter Buchara verlassen würde.
Drei Tage waren vergangen, seit Juliet sich mit den Kasems getroffen hatte. Wie gewöhnlich war sie unterwegs. Ross hatte den Nachmittag beim Schachspiel mit einem armenischen Händler verbracht, dessen vornehmes Auftreten seinen >Killerinstinkt< für das Spiel der Könige verschleierte. Ross sagte ihm gerade Lebewohl, als drei weitere Freunde ankamen.
Die Neuankömmlinge waren bekannte Persönlichkeiten aus der ansässigen jüdischen Gemeinde, unter ihnen Ephraim ben Abraham, den Ross bereits bei seinem ersten Besuch in Buchara kennengelemt hatte. Damals hatte Ephraim Ross gebeten, einen Brief nach England mitzunehmen und ihn Moses Montefiore, einem Finanzier und großen Menschenfreund, zu geben, dessen Ruf sogar bis Turkestan reichte. Montefiore hatte dem Bucharer eine Antwort geschickt, und nun, acht Jahre später, standen die beide immer noch in lockerer Korrespondenz.
Als Ross zum zweiten Mal in Buchara angekommen war, hatte Ephraim ben Abraham ihn zu sich nach Hause eingeladen. Nachdem der Jude Ross seinen Dank ausgesprochen hatte, daß er seinen Teil zu der Kontaktaufnahme beigetragen hatte, bat er ihn um die letzten Neuigkeiten über Montefiore. Ross hatte ihm also die Geschichte erzählt, wie der britische Philanthrop von der Königin zum Ritter geschlagen wurde, trotzdem einige Minister dagegen Widerstand geleistet hatten. Die junge Königin Victoria hatte erklärt, daß ein Brite ein Brite war und daß seine Religion dabei nicht zählte - eine Entscheidung, die in Buchara großen Beifall fand.
Noch berühmter war allerdings die Geschichte, wie der neu ernannte Sir Moses in den zeremoniellen Gewändern als Sheriff von London und Middlesex persönlich ein koscheres Huhn mit in die Guildhall, das Londoner Rathaus, gebracht hatte, damit er mit den anderen Würdenträgern essen konnte, ohne die Ernährungsregeln seines Glaubens zu verletzen. Die Zuhörer hatten vor Lachen gebrüllt, und Ross mußte die Geschichte noch in anderen Häusern mehrmals wiederholen. Und nun, da er Hausarrest hatte, besuchten ihn seine Freunde statt dessen im Haus des Nawabs.
Nach den üblichen Begrüßungsfloskeln und zeremoniellen Tassen von Tee mit Rosenwasser wandte sich Ephraim ben Abraham an Ross. »Verehrter Kilburn, bitte mach uns die Ehre, ein hebräisches Lied zu singen. Deine Stimme ist so volltönend und schön.«
Ross warf dem Juden einen irritierten Blick zu, denn die Bitte erschien ihm doch recht merkwürdig. Als Junge hatte er den ansässigen Vikar so lange gepiesackt, bis er ihm Hebräisch beigebracht hatte, welches die einzige Sprache aus dem Mittleren Osten war, die selbst in der Wildnis von Norfolk bekannt war. Doch obwohl seine Kenntnisse darüber ihn bei den Juden Bucharas beliebt gemacht hatten, hatte er doch noch nicht für sie gesungen. Nun, er war als Kind im Schulchor gewesen, und er sang gerne, also intonierte er einen seiner Lieblingspsalme.
Als älterer Offizier im Haushalt des Nawabs stand Jawer Shahid Mahmud über derart simplen Aufgaben wie Wachestehen, aber er ließ es sich nicht nehmen, täglich für ein oder zwei Stunden bei seinem Gefangenen vorbeizuschauen, um ihn drohend anzustarren. Er war auch jetzt da und tuschelte in einer Ecke des Raumes mit einem Untergebenen. Nachdem er ein paar Verse des Psalms gehört hatte, brach er seine Unterhaltung ab und hob die Hand, um Ross zum Aufhören zu bringen. »Was redest du da?« fragte er mißtrauisch. Ross übersetzte pflichtbewußt die Worte und begann mit: »An den Ufern von Babylon setzten wir uns nieder und weinten, denn wir gedachten Zion.« Als er schließlich bei » Wie können wir das Lied des Herrn in einem fremden Land singen?« angelangt war, hatte Shahid schon das Interesse verloren. Mit einem Schnauben wandte er sich wieder an seinen Untergebenen.
Ross begann das Lied erneut. Als er etwa die Hälfte gesungen hatte, w ar seine Kehle eng und heiser, denn das Gefühl der Verbannung, das die uralten Worte ausdrückten, ging ihm zu Herzen. Vielleicht wäre ein anderer Psalm besser gewesen.
Als er geendet hatte, breitete sich ein Schweigen des Respekts aus. Dann ergriff Ephraim das Wort: »Hab' Dank, verehrter Kilburn. Nun möchte ich dich eine Hymne der Juden von Turkestan lehren. Ich werde eine
Weitere Kostenlose Bücher