Wilder als der Hass, süsser als die Liebe
der Targi abstieg, liefen ein paar Jungen von den Ställen herüber, um die Pferde zu übernehmen, während ein graubärtiger Mann aus dem Palast trat. Gul-i Sahari sprach kurz mit dem Mann, der offenbar Usbeke war. Dann wandte er sich zu Ross. »Kommen Sie!« befahl er.
Ross gehorchte, und die anderen Reiter folgten ihm in das Gebäude. Der Palast hatte die Aura eines sehr alten Gebäudes, aber er war gut instand gehalten worden, hatte saubere, weiß getünchte Wände und hübsche, gekachelte Böden. Gul-i Sahari führte sie in einen großen Empfangsraum, der in traditioneller östlicher Schlichtheit gehalten war. Gepolsterte Diwane säumten die Wände, und dicke, helle Teppiche bedeckten den Boden.
Die Männer stellten sich in einem lockeren Kreis um den Fremden, und der Targi musterte Ross. Er hatte seine Reitpeitsche mit hineingebracht und zog nun wie abwesend den Lederriemen durch seine schmalen, feingliedrigen Finger. Mit seiner heiseren, flüsternden Stimme fragte er: »Die Turkmenen sind Menschenhändler. Wollten sie Sie als Sklaven verkaufen?«
»Sie waren hin- und hergerissen zwischen dieser Möglichkeit und der, mich sofort umzubringen. Ein übles Pack.« Ross verlegte sich auf seine beste britische Gelassenheit. Die Luft um ihn herum war mit einer unterschwelligen Spannung angefüllt, und da er nicht wußte, was mit ihm geschehen würde, befolgte er die Grundregel des Überlebens, niemals Furcht zu zeigen, ganz so, als wären seine Entführer ein Rudel Hunde, die bei dem kleinsten Anzeichen von Furcht zubeißen würden. »Ich habe Empfehlungsschreiben vom Schah und von verschiedenen einflußreichen Mullahs bei mir, und ich bin lebend mehr wert als tot.«
»Ich kann mir denken, daß Sie sehr viel wert sind, Monsieur.« Gul-i Sahari begann, Ross mit katzenhafter Eleganz zu umkreisen. Plötzlich verlangte er schneidend: »Ziehen Sie Mantel und Hemd aus.«
Es konnte vielerlei Gründe für solch einen Befehl geben, und jeder einzelne bereitete Ross Unbehagen. Er überlegte einen Moment, ob er sich weigern sollte, verwarf die Idee aber als höchst dumm. Obwohl er der größte Mann in diesem Raum war, waren die anderen doch mit sechs in beträchtlicher Überzahl, und er konnte sich vorstellen, daß die Perser nicht zimperlich mit ihm umgehen würden, wenn sie den Befehl ihres Anführers erzwingen wollten.
Er fühlte sich wie ein Sklave, der sich vor einem potentiellen Käufer ausziehen mußte, streifte jedoch wortlos seine zerfetzten Kleider ab und ließ sie zu Boden fallen. Ein interessiertes Murmeln ging durch die Gruppe, als Ross seinen Oberkörper entblößt hatte. Er war sich nicht sicher, ob sie von der Blässe der englischen Haut, von den flammendroten Prellungen und Abschürfungen oder von den häßlichen Narben einer Kugel beeindruckt waren, die ihn vor anderthalb Jahren fast getötet hatte. Wahrscheinlich alles drei.
Gul-i Sahari blieb vor Ross stehen. Einmal mehr verfluchte Ross den Tagelmoust, der es ihm unmöglich machte, die Miene seines Gegenübers zu interpretieren.
Mit äußerster Präzision zeichnete der Targi mit dem Griff seiner Reitpeitsche die Narbe nach, wo die Kugel aus seinem Körper ausgetreten war. Diese und die Eintrittswunde auf seinem Rücken waren mit der Zeit verblaßt, wirkten aber immer noch dramatisch genug. Dann strich Gul-i Sahari mit dem Griff über die zerschundenen Stellen auf Brust und Armen seines Gefangenen. Es lag eine seltsame Zärtlichkeit in dieser Geste, und sie beunruhigte Ross weitaus mehr, als Brutalität es getan hätte.
Lautlos umkreiste der Verschleierte ihn und berührte die Narbe auf seinem Rücken. Als der schwingende Lederriemen über seine Rippen glitt, fühlte Ross einen Schauder des Entsetzens. Bei der seltsamen Atmosphäre in diesem Raum konnte er nicht abschätzen, ob er eine Liebkosung oder einen plötzlichen Peitschenhieb zu erwarten hatte. Beides schien ihm möglich, beides gleichermaßen abstoßend.
Äußerlich ungerührt sagte er: »Tut mir leid wegen der Narben. Sie werden meinen Wert ein wenig mindern, wenn Sie beabsichtigen, mich zu verkaufen.«
Scharf antwortete Gul-i Sahari: »Für den richtigen Käufer wirst du immer noch einen hübschen Penny wert sein, Ferengi.«
Ross erstarrte schockiert. In seinem Ärger hatte der Targi vergessen zu flüstern. Ross' Herzschlag beschleunigte sich, denn die heisere Stimme kam ihm erschrek-kend vertraut vor. Vertraut und weitaus einschneidender als alles andere, was heute schon geschehen
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