Wilder als der Hass, süsser als die Liebe
war.
Es war unmöglich. Ross wirbelte herum und starrte seinen Entführer an. Die Größe stimmte, ebenso der feingliedrige Körperbau und die geschmeidigen, weichen Bewegungen. Er versuchte, die beschatteten Augen hinter dem Tagelmoust besser zu sehen. Waren sie wirklich schwarz wie die der meisten Tuareg, oder eher von jenem wandelbaren Grau, das von Quarz zu Rauch wechseln konnte?
Spöttisch bemerkte Gul-i Sahari: »Was ist los, Ferengi? Hast du einen Geist gesehen?«
Dieses Mal war die Stimme nicht zu verkennen. Mit einem Anflug der gewaltigsten Wut, die er seit zwölf Jahren verspürt hatte, trat Ross entschlossen vor, packte den Zipfel des Schleiers und riß ihn herunter, um Gul-i Saharis Gesicht zu enthüllen. Das Unmögliche war wahr. Sein Entführer war kein Targi Sein Entführer war Juliet, seine geflüchtete Frau.
Kapitel 3
Juliet wich nicht zurück, sondern musterte ihn nur mit kühlen, wachsamen Augen. Ihr leuchtend rotes Haar war lässig zu einem schweren Knoten im Nacken zusammengefaßt, und sie sah so schlank und edel wie ein fein ziselierter Dolch aus. Eine Augenbraue hochziehend, sagte sie auf Englisch: »In Anbetracht der Tatsache, daß du dich in meiner Festung aufhältst und von meinen Männern umzingelt bist. . . findest du nicht, du solltest ein wenig mehr weise Vorsicht walten lassen, Ross?«
Er war zu wütend, um darauf einzugehen. Er ließ seine Hand von dem Schleier fallen und fauchte: »Na los, Juliet, streng dich richtig an. Wie du es immer getan hast!«
Ihre Augen verengten sich. Dann wandte sie sich zu ihren Männern um und bedeutete ihnen mit einer schnellen Geste, den Raum zu verlassen. Der alte Usbeke schien nur widerwillig gehen zu wollen, bis Juliet auf Persisch versicherte: »Mach dir keine Sorgen, Saleh. Der Ferengi und ich sind gut bekannt. Bitte, laß warmes Wasser, Bandagen und Salbe hereinbringen, vielleicht auch Tee.«
Immer noch innerlich brodelnd, meinte Ross erregt: »Dein Freund Saleh könnte zu Recht fürchten, daß ich dir den Hals umdrehe.« Juliet richtete ihren Blick wieder auf ihn, während sie den Schleier von ihrem Kopf wickelte. »Unsinn«, antwortete sie ruhig, als sie den dunklen Stoff über einen Diwan warf. »Möglicherweise hättest du durchaus Lust, mir etwas anzutun, aber du bist viel zu sehr Gentleman, egal, wie sehr ich es vielleicht verdiene.«
Es verbesserte Ross' Laune überhaupt nicht, daß er ihr im stillen recht geben mußte. Selbst in jener vernichtenden Nacht vor zwölf Jahren hatte er sie nicht berührt, und seine jetztige Wut war bloß ein schwacher Schatten von der damaligen.
»Und was war der Grund dieser kleinen Scharade?« fragte er, während er sich wieder sein Hemd überstreifte. »Willst du mich als Geisel gegen Lösegeld festhalten? Das wäre ziemlich überflüssig, wenn man die Summe betrachtet, die ich in den letzten zwölf Jahren an dich gezahlt habe.«
»Ich habe dich nie um Geld gebeten«, gab sie scharf zurück. »Du warst derjenige, der darauf bestanden hat.«
»Als dein Ehemann bin ich finanziell für dich verantwortlich.« Ross' Blick wanderte über ihre Gestalt. Es war ihm unmöglich zu erkennen, ob der Körper unter den Stoffschichten weiblich war. Hätte sie ihre Stimme weiterhin verstellt und den Tagelmoust angelassen, dann hatte er ihre Identität niemals erraten können. »Im übrigen habe ich mir darüber Sorgen gemacht, auf welche Art du dir deinen Lebensunterhalt verdienen könntest, wenn ich dich nicht unterstütze.«
Sie begriff seine beleidigende Anspielung, und ihr Gesicht bekam Farbe. »Ross, verzeih mir, daß ich meinem verdrehten Sinn für Humor nachgegeben habe.«
»Ach, das sollte die kleine Szene sein - ein Spaß?« Seine Stimme triefte vor Ironie und Anzüglichkeit. »Dein Sinn für Humor ist mehr als verdreht. Er ist durch und durch bösartig geworden.« »Hattest du tatsächlich Angst?« fragte sie mit einem Hauch von Überraschung. »Du hast mir nicht so ausgesehen.«
»Nur ein Narr hätte keine Angst, wenn er von bewaffneten Männern umzingelt ist, die feindlich sein könnten«, gab Ross trocken zurück. »Ich fand nur, daß meine Situation sich nicht verbessern würde, wenn ich mich beklage.«
Sie biß sich auf die Unterlippe. »Tut mir leid. Ich habe mich unmöglich benommen.«
»Du scheinst so auf mich zu reagieren.«
Juliet sah aus, als wollte sie ihm eine zornige Antwort an den Kopf schleudern, doch ein kleines Dienstmädchen, das gerade eintrat, hielt sie zurück. Das
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