Wilder als der Hass, süsser als die Liebe
Mädchen trug ein Tablett mit ärztlichen Instrumenten und Tee, welches sie auf einem niedrigen runden Tisch abstellte, bevor sie sich verbeugte und wieder hinausging.
Die Unterbrechung gab Juliet die Zeit, sich wieder unter Kontrolle zu zwingen. »Es stimmt allerdings, daß du meine schlimmsten Eigenschaften in mir weckst«, gab sie bedauernd zu, während sie den dampfenden Tee in eine Tasse füllte und einen großen Löffel Zucker einrührte. Sie reichte Ross die Tasse und fuhr dann mit unbewegtem Gesicht fort: »Ich war ein Muster an bescheidener, jungfräulicher Tugend, bevor ich dich kennenlernte.«
Dies war so ein glatter Unsinn, daß Ross sich fast an seinem Tee verschluckte. Er war hin- und hergerissen zwischen Wut und widerwilligem Vergnügen. »Dein Gedächtnis scheint dir einen Streich zu spielen, Juliet«, entgegnete er, als er wieder reden konnte. »Du warst auch damals schon die Tochter des Teufels, du hattest nur noch nicht die Erfahrung, deine natürliche Lasterhaftigkeit auszuleben.«
»Und du hast weniger von einem englischen Gentleman, als ich dachte. Oder du würdest so etwas nicht erwähnen.« Sie schenkte ihm ein flüchtiges, zögerndes Lächeln.
Dieses Lächeln ließ Ross' Herz einen seltsamen Satz machen. Es war typisch für Juliet, gleichzeitig zu verärgern und zu entwaffnen. Eben noch hatte sie ihn wie einen Sklaven behandelt, dessen Wert geschätzt wird, und nun erinnerte sie sich noch ganz genau, wie er seinen Tee mochte.
Sein Zorn begann zu verebben, was ein Glück war, denn er würde seinen ganzen Verstand brauchen, um mit dieser unmöglichen Frau fertig zu werden. Plötzlich müde und erschöpft, ließ er sich auf dem Diwan nieder.
Juliet holte das Tablett mit dem Verbandszeug und setzte sich neben ihn. »Zieh dein Hemd wieder aus«, sagte sie mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete.
Ross wich zurück, als sie ihm helfen wollte. Ihre Berührung hatte ihn immer schon verstört, schon damals, als er noch nicht wußte, wer sie war, und nun würde es nur noch schlimmer sein. Seine Haut vor einem Arzt zu entblößen, war eine Sache. Dasselbe bei einer Frau zu tun, mit der in die Erinnerung an leidenschaftliche Stunden verband, war etwas ganz anderes. Aber seine Verletzungen mußten behandelt werden, und unter diesen Umständen war Schamgefühl lächerlich. Er zwang sein Unbehagen beiseite und zog das Hemd aus.
»Du bist heute im sprichwörtlich letzten Moment eingetroffen. Wie konnte das sein?«
»Mir ist zu Ohren gekommen, daß ein Europäer mit zwei Dienern in dieser Gegend unterwegs ist, und die Bande der Turkmenen wurde ebenfalls gesichtet«, erklärte sie. Sie befeuchtete ein Stück Stoff und begann, vorsichtig den Schmutz und das getrocknete Blut von seinem rechten Handgelenk abzuwaschen, das den Sturz hatte abfangen müssen. »Aus einem Impuls beschloß ich einzugreifen, bevor die Idioten auf dem Sklavenmarkt von Buchara enden würden.« Die Wärme und die Süße des Tees beruhigten seine Nerven ein wenig, und Ross lehnte sich in den Polstern zurück, um sich etwas Entspannung zu gönnen. Vermutlich war das der seltsamste Tag seines Lebens. Nach so vielen Jahren hier mit Juliet zu sitzen, und sie, die ihn flickte wie einen alten Mantel - das war einfach zu unwirklich, um es zu glauben. Und doch war ihre Gegenwart zu intensiv, um sie zu leugnen. Er war sich körperlich der Wärme ihrer Finger, ihres schwachen würzigen Duftes bewußt. Sie dagegen schien ziemlich ungerührt durch die Nähe ihres Mannes.
In dem Bedürfnis, das Schweigen zu brechen, sagte er: »Spielst du oft den rettenden Engel für dumme Reisende?«
»Wenn ich von möglichem Ärger höre, tue ich, was ich kann.« Juliet begann, Salbe auf seinen zerschundenen Oberarm zu streichen, aber obwohl ihre Finger geschickt und sanft vorgingen, war das Resultat keinesfalls beruhigend. Es tat weh, und Ross hätte aus der Haut fahren können.
Nun widmete sie sich seiner rechten Seite und begann, dort die Schnitte und Schrammen zu behandeln. »Ich brauche wohl kaum zu erwähnen, daß es ein beträchtlicher Schock war, herauszufinden, daß du der Ferengi warst.«
»Das bezweifle ich nicht, aber warum hast du dich mir nicht sofort zu erkennen gegeben? Ich fand das kleine Spiel nicht gerade witzig.«
Sie zögerte. »Ich hatte nicht vor, mich überhaupt zu erkennen zu geben. Ich wollte dich auf deinen Weg schicken, ohne zu enthüllen, wer ich bin.«
»Dann hättest du deinem Drang nicht nachgeben dürfen,
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