Wilder als der Hass, süsser als die Liebe
weigerte, denunzierte er mich als Spion. Der Emir war bereits mißtrauisch, und als der Nawab sich gegen mich wandte, war das der letzte Tropfen. Am nächsten Tag wurde ich verhaftet und in den Schwarzen Brunnen gesteckt.«
»Mir wollte er auch Geld abpressen. Ich hatte Glück, daß er zum Krieg abrufen wurde, bevor er mir etwas Ähnliches anhängen konnte. Wir kommen gerade rechtzeitig weg.« Ross stand auf und begann damit, Ian einen ziemlich groben Haarschnitt zu verpassen und seinen Bart zu kürzen, damit er eher wie ein Mann aus Buchara statt eines verlotterten Eremiten aussah. »Als wir einmal erfahren hatten, daß du eventuell noch im Kerker lebst, konnten wir nicht verschwinden, ohne wenigstens deine Rettung zu versuchen. Aber was meinst du, warum hat der Emir behauptet, er habe dich exekutieren lassen?«
»Weil er glaubte, ich sei es gewesen. Statt dessen wurde Pyotr Andreyovich geköpft.« Ian seufzte und lehnte seinen Kopf gegen die Wand. »Colonel Pyotr Andreyovich Kushutkin der russischen Armee. Er war einige Monate, bevor ich in Buchara ankam, beim Spionieren erwischt worden.«
»Eine falsche Beschuldigung wie bei dir?«
»Nein, in diesem Fall stimmte es. Er spielte das große Spiel begeistert - er bedauerte nur, daß man ihn ertappt hatte. Pyotr Andreyovich war einige Jahre älter als ich, und er saß schon länger im Kerker. Irgendwann hat er einen schrecklichen Husten bekommen . .. manchmal konnte er stundenlang nicht aufhören, und es kam Blut.« Ian schloß kurz die Augen, und ein Gesichtsmuskel zuckte. »Als sie kamen, um mich zu holen, meinte er, er würde ohnehin sterben, deshalb könnten sie auch ebensogut ihn nehmen.«
»Und niemand hat den Unterschied gemerkt?« fragte Ross verdutzt.
Ian warf ihm einen sarkastischen Blick zu. »Wir hatten etwa die gleiche Größe und das gleiche Haar, obwohl seines mehr braun als rot war. Aber so dürr und dreckig und haarig wie Affen, wie wir beide waren, hätte es schon jemanden, der uns sehr gut kannte, bedurft, um den Unterschied zu bemerken.« Er schluckte hart. »Er starb also an meiner Stelle. Ich hatte Fieber zu der Zeit, sonst hätte ich mehr protestiert. Allerdings schien es nichts auszumachen, außer daß er aus seinem Elend befreit wurde. Doch nun .. .« Seine Stimme verebbte.
»Wo immer Colonel Kushutkin jetzt ist, er wird sich über die Entscheidung sicher freuen«, sagte Ross ruhig. »Von dem, was du erzählt hast, hätte er wahrscheinlich nicht bis heute durchgehalten, du aber! Nun kannst du seiner Familie die Bibel schicken, wie er es sich gewünscht hat.« Ians Gesichtsausdruck wurde bei Ross' Worten etwas weicher.
»Er schrieb Tagebuch auf den freien Seiten vorne und hinten. Er hatte etwas zu schreiben dabei, als man ihn verhaftete. Zudem lehrte er mich Russisch, und ich half ihm mit seinem Englisch. Spion oder nicht - man hätte sich keinen besseren Zellengenossen denken können. Anwesende ausgeschlossen natürlich.« Ian zog sich nun die turkmenischen Kleidungsstücke an, die Ross ihm reichte. »Da meine Wärter glaubten, ich wäre er, beschimpfte ich sie jedesmal auf Russisch, wenn sie mich ansprachen. Niemand kam je auf die Idee, ich könnte nicht Pyotr Andreyovich sein.« Nun wand Ian sich seinen Turban geschickt so, daß sein blindes Auge bedeckt war. »Du und Juliet - habt ihr euch versöhnt?«
Ross zögerte, denn die Frage war verdammt kompliziert, und er hatte keine echte Antwort darauf. Schließlich erwiderte er: »Ja. Für den Moment.«
»Gut.« Ian setzte sich und zog ein Paar von Ross' Stiefeln über. »Dann entsteht ja vielleicht doch noch etwas Brauchbares aus diesem verfluchten Mist.«
Bei einem Geräusch von draußen wandte sich Ross schnell um, aber es war nur Juliet, die von den Ställen zurückgekehrt war. Beim Anblick ihres Bruders weiteten sich ihre Augen. »Erstaunlich. Kaum zu glauben, daß du derselbe Mann bist, der vor weniger als zwei Stunden aus dem Kerker gekommen ist.« Ian entfaltete seinen trockenen Humor. »Eton College und die britische Armee sind eine exzellente Vorbereitung für ein oder zwei Jahre im Verlies.«
Juliets Gesicht erhellte sich, und sie kam zu ihm, um ihrem Bruder eine längere und gründlichere Umarmung zu gönnen, als kurz zuvor möglich gewesen war.
Doch während Juliet seine Worte für bare Münze nehmen wollte, erkannte Ross, wieviel Kraft es Ian kostete, seine Unbekümmertheit herauszustellen. Galgenhumor konnte nicht preiswert erkauft werden.
»Hast du Ian schon
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