Wilder als der Hass, süsser als die Liebe
Meine Zukunft liegt jetzt in England. Aber warum ist es so undenkbar, daß du ebenfalls dort wieder leben würdest? Du schienst mir damals ganz zufrieden.«
Ihre Hände ballten sich automatisch zu Fäusten, und sie mußte sich zwingen, sie wieder zu entspannen. »Es tut mir leid, aber ich fürchte, ich werde in England ersticken. Es gibt dort so viele gesellschaftliche Regeln, so viele Möglichkeiten, Fehler zu machen.«
»Das hast du damals bestens hinbekommen, indem du die Regeln, die dir gefielen, befolgtest und die anderen schlichtweg ignoriert hast«, konterte er. »Wichtiger noch: Du wärest jetzt eine Marquise und später eine Du-chess. Um es platt auszudrücken, du kannst dann jedes verdammte Ding tun, auf das du Lust hast. Habe ich dich denn so sehr zu zensieren versucht? Du hast mir gesagt, daß meine Kritik dich verletzt hat, und zweifellos war ich weit unsensibler, als ich es hätte sein müssen, aber ich kann mir nicht vorstellen, daß ich ein Tyrann war.«
Nein, das war er nicht gewesen. Nun war es Zeit für einen anderen, viel schmerzlicheren Aspekt der Wahrheit. »Das Problem war nicht, was du getan hast, sondern was ich mir selbst angetan habe.« Sie starrte auf die Bürste, ohne sie wahrzunehmen, und drehte den Griff ruhelos in ihren Händen. »Ich liebte dich so sehr, daß ich mich selbst verstümmelte, um dir zu gefallen. Mein Sinn dafür, wer ich war, meine Unabhängigkeit... all das, was du an mir mochtest. . . ich konnte fühlen, wie es verschwand. Ich wollte so nicht leben, und ich wollte nicht wie diese langweiligen, fügsamen Frauen werden, die du, wie du sagtest, niemals lieben konntest.«
Er kreuzte die Arme vor der Brust und sah sie herausfordernd an. »Es ist schmeichelhaft zu hören, daß du so wahnsinnig in mich verliebt warst. Aber selbst wenn du damals um deine Unabhängigkeit gefürchtet hast, kann das doch heute kein Problem mehr sein. Du bist kein unsicheres Mädchen mehr. Dein Charakter wird nicht verkümmern, nur weil irgendwelche überzüchteten Weibchen auf dich herabsehen.«
Sie stand auf und ging nervös im Zimmer auf und ab, wobei die grüne Seide um ihre Beine raschelte. »Du versuchst, alles, was ich sage, auf einfache Punkte zu reduzieren, die man wegargumentieren kann, aber es ist komplizierter als das.« Sie wandte sich zu ihm um. »Die Frage ist nicht, ob ich England tolerieren kann - ich kann es. Aber mir gefällt Serevan. Ich habe hier etwas Wertvolles aufgebaut, habe Leuten, die in Armut und Angst lebten, dabei geholfen, Wohlstand und Glück zu erlangen. Wie kann ich das alles aufgeben?«
Er seufzte. »Ich spüre den Schatten von Lady Hester Stanhope über uns schweben. Ich kann es dir nicht verübeln, bei den Menschen zu bleiben, die von dir abhängen, aber du hast eine starke, gesunde Gemeinde errichtet. . . sie würde nicht zusammenbrechen, wenn du gehst. Übergib Serevan Saleh, wenn er zurückkommt. Er ist genauso fähig, die Festung zu führen wie du.«
Die Tatsache, daß Ross recht hatte, machte Juliets Standpunkt nicht gerade einfacher. Er drängte sie in die Defensive. »Aber ich will Serevan nicht verlassen. Ich habe hier soviel Freiheit.«
»Das ist eine Illusion, geboren aus der Position der Außenseiterin. Du hast dich durch deine Fremdheit und durch Geld von der persischen Realität freigekauft«, sagte er verärgert. »Willst du so den Rest deines Lebens verbringen? Als Frau, die tun kann, was immer sie will, weil sie so exzentrisch ist, daß sie eher als unvermeidliche Naturgewalt, denn als echte Person betrachtet wird?«
Sie zuckte die Schultern. »Lady Hester scheint gut damit zurechtgekommen zu sein.«
»Es ist Zeit, ein paar von deinen romantischen Illusionen zu zerstören.« Er erhob -sich vom Diwan und kam auf sie zu. »Ja, Lady Hester war eine bemerkenswerte Person, aber sie war auch ein Ungeheuer der Eitelkeit und Besessenheit. Sie ließ sich in Syrien nicht wegen ihrer Freiheit nieder, sondern weil sie die Macht liebte, und weil ihr Bedürfnis, ein wichtiger Mensch zu sein, durch die Rolle als gnädige Tyrannin befriedigt wurde. Du hast doch Geschichten über sie gesammelt; kennst du auch die, als deine Heldin meinte, es sei ihre Pflicht, den Tod eines leichtsinnigen französischen Forschers zu rächen? Sie drängte den ansässigen Pascha dazu, Dutzende von Dorfbewohnern zu töten, und den Rest ihres Lebens prahlte sie damit, was für eine starke, mächtige Führerin sie war. Sie war stolz darauf, für den Mord an Hunderten von
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