Wilder als der Hass, süsser als die Liebe
ihre zahlreichen Bewunderer dazu gedrängt, mit Miss Cameron zu tanzen. Juliet hatte es natürlich nicht gefallen, ein Objekt der Mildtätigkeit zu sein, aber die Alternative wäre ungleich schlimmer gewesen, und Juliet wußte, daß Sara nur aus natürlicher Freundlichkeit handelte.
Juliet hatte oft von Saras Lieblingsvetter, Lord Ross Carlisle, gehört, aber sie hatte ihn niemals persönlich kennengelemt. Dann waren sie zu einem lärmenden, überfüllten Ball gegangen. An den Namen des Gastgebers konnte sich Juliet nicht mehr erinnern. Nur daran, daß Sara sofort von einem attraktiven jungen Mann fortgezerrt worden war, in den sie sich an diesem Abend verliebt hatte. Sie selbst hatte sich in eine stille Ecke verzogen und versucht, nicht so voller Unbehagen und, verlegen zu wirken, wie sie sich gefühlt hatte.
Dann war ein junger Mann am Arm ihrer Tante Louise herübergekommen, die in dieser Saison ihre Anstandsdame und ihre Schirmherrin mimte. Der Fremde war! sehr groß und unglaublich gutaussehend gewesen, hatte butterblondes Haar gehabt und eine Aura von ruhiger Zuversicht ausgestrahlt.
Von Tante Louises schmeichlerischer Ehrerbietung hatte man sofort darauf schließen können, daß er ebenfalls wohlhabend und adelig war.
Im Ballsaal war es so laut gewesen, daß Juliet den Namen des Mannes nicht mitbekommen hatte, als er ihr vorgestellt wurde. Obwohl sie nicht unbedingt mit diesem Kerl hatte tanzen wollen, war das Herumstehen in der Ecke noch schlimmer, und so hatte sie die Einladung des Fremden ungraziös angenommen.
Er war ein hervorragender Tänzer gewesen, aber selbst das hatte Juliet nicht besänftigen können. Zweifellos handelte es sich nur wieder um einen von Saras Bewunderern, der nur darum gebeten worden war, sie zum Tanz aufzufordern. Dieser Gedanke hatte es ihr unmöglich gemacht, zu genießen, was ansonsten sicher sehr schön gewesen wäre.
Juliet hatte auf alle seine Konversationsversuche mit einer Knappheit reagiert, die schon an Unverschämtheit grenzte, bis er sie schließlich gefragt hatte: »Ich hörte, daß Sie Arabisch sprechen. Stimmt das?«
Er hatte angedeutet, daß er gerne eine Kostprobe erhalten würde, und so hatte Juliet einen Augenblick überlegt, während ihre langen, dunklen Wimpern ihre Augen beschatteten. Dann hatte sie zuckersüß in klassischem Arabisch gesagt: »Ihr seid ein alberner, nutzloser Kerl, ein gackernder Affe ohne einen Funken Lebensweisheit.«
Einen Moment lang war er fassungslos gewesen. Dann hatte er mit einem hinterhältigen Blitzen in den Augen auf Arabisch geantwortet: »Ihr habt die Zunge einer Viper, Tochter der Wüste, aber auch nur ein alberner, nutzloser Kerl, der ich bin, ist durch Eure flammende Schönheit erobert.»
Juliet war so schockiert gewesen, daß sie mitten auf dem Parkett stocksteif stehengeblieben war, um zu ihrem Tanzpartner hochzuschauen. Der reizvolle Kontrast zwischen blondem Haar und brauner Haut, seine Kenntnisse des Arabischen . . . plötzlich war es ihr wie Schuppen von den Augen gefallen. »Sie müssen Saras Cousin Ross sein«, hatte sie atemlos hervorgebracht.
Er hatte gegrinst, während die unerwartete Wärme in seinem Blick sie noch mehr verwirrte. »Kein anderer. Ich nehme an, in dem Lärm haben Sie meinen Namen nicht verstanden.«
»Ja, ich fürchte, so war es. Ich dachte, Sie wären nur einer dieser geckenhaften Jüngelchen«, war sie herausgeplatzt.
Er war über ihre unschmeichelhafte Offenheit in Gelächter ausgebrochen, und so hatte sie hastig hinzugesetzt: »Sara hat mir erzählt, daß Sie in Cambridge orientalische Sprachen studiert haben und nun den Mittleren Osten und Asien bereisen wollen.« »Korrekt.« Er hatte sie wieder an sich gezogen, damit sie weitertanzen konnten. »Ich bin schon lange begierig darauf, Sie kennenzulernen, Miss Cameron. Sara hat von Ihrem faszinierenden Vorleben erzählt. Bitte erzählen Sie mir, wie es ist, wenn man in Tripolis lebt.«
Wie Sara besaß er die Fähigkeit, dem Gegenüber das Gefühl zu vermitteln, etwas Besonderes zu sein. Juliet hatte darauf wie eine Blume reagiert, die in der Sonne erblühte, und unablässig über Tripolis und Teheran geplaudert. Sie hatte ihm auch nicht verschwiegen, wie schwer es für sie gewesen war, nach England zurückzukehren.
Sie hatten drei Tänze hintereinander getanzt, als Tante Louise sie förmlich fortgezerrt hatte, um ihr eine Predigt über schamloses Verhalten in der Gesellschaft zu halten.
Juliet hatte sich nicht darum gekümmert.
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