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Wilder als der Hass, süsser als die Liebe

Titel: Wilder als der Hass, süsser als die Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Jo Putney
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den sie in ihrem Inneren verspürte, noch Platz gab, um eine ganz persönliche Demütigung über seine Zurückweisung für diese Nacht zu empfinden.
    Plötzlich hatte Juliet das Gefühl, ersticken zu müssen, wenn sie noch einen Augenblick länger in dem Zimmer blieb. Nachdem sie in ihre Sandalen geschlüpft war, eilte sie hinaus und überquerte den großen Innenhof, dann kletterte sie auf die massive Mauer, die die Festung umgab. Wie eine mittelalterliche europäische Burg war die Mauer breit genug, daß mehrere Personen gleichzeitig darauf herumlaufen konnten.
    Es war spät, und ganz Serevan schlief, bis auf die Handvoll Wachen in den Ausgucken. Juliet genoß die Kühle der Brise und die Weite um sich herum. Die Szene war wunderschön, das wächserne Mondlicht versilberte die zerklüfteten Berge, aber es war nicht hell genug, um die dunkle Nacht der Seele auszulöschen.
    Von der Westseite der Festung konnte sie die Berge zur Karakum abfallen sehen, deren Sand in Richtung Buchara trieb. Verzweifelt wandte sie sich um, um nicht daran erinnert zu werden, was alles geschehen war, seit sie das letzte Mal auf diesen Mauern spaziert war.
    Als sie weiterging, entdeckte sie, daß noch jemand die Stille der Nacht ausnutzte. Ihr Herz machte einen Sprung, als sie einen Augenblick glaubte, es wäre Ross. Doch dann drehte sich die Gestalt um, und sie erkannte erleichtert, daß es sich um Ian handelte.
    In der Woche seit seiner Rettung aus dem Kerker hatten sie beide kaum miteinander gesprochen, und nicht nur deswegen, weil die kräfteaufreibende Flucht durch die glühende Hitze der Wüste eine Unterhaltung nicht besonders verführerisch gemacht hatte. Die Gefangenschaft schien ihren Bruder auf eine grundlegende Art verändert zu haben. Er verhielt sich so in sich gekehrt, daß es schwierig war, an ihn heranzukommen. In Anbetracht der Dinge, die er hatte erleiden müssen, war das sicher nicht weiter überraschend, aber dennoch war er für sie fast wie ein Fremder, und sie wußte nicht genau, wie sie mit  ihm umgehen sollte.
    Das letzte, was Juliet sich wünschte, war Gesellschaft, aber da er sie bereits entdeckt hatte, konnte sie sich schlecht davonmachen. Mit einigem Widerwillen ging sie auf ihn zu und hoffte, daß die Dunkelheit das Unglück in ihrer Miene verbarg. Wie auch immer - das Mondlicht war hell genug, um zu zeigen, daß ihr Bruder viel besser aussah: entspannt, rasiert und das Haar wieder auf europäische Länge gestutzt. »Ein großer Fortschritt«, bemerkte sie.
    »Erstaunlich, wie ein anständiges Nickerchen, gutes Essen und ein Besuch im Badehaus einen Körper verändern können« , gab er zurück, als er sich zu ihr umdrehte.
    Sie deutete auf sein rechtes Auge, über dem nun eine saubere schwarze Augenklappe lag. »Gibt dir einen abenteuerlichen Touch!«
    »Keine Ahnung, aber wenigstens erschrecke ich so keine kleinen Kinder.« Abwesend berührte er die Klappe. »Das ist passiert, als die Männer des Emirs mir ein Geständnis der Spionage herausprügeln wollten. Das andere Auge ist zur gleichen Zeit verletzt worden, aber es ist ohne bleibenden Schaden geheilt.«
    »Gott sei's gedankt«, seufzte sie inbrünstig. »Du hast Glück gehabt.«
    »Allerdings. Ein Auge zu verlieren, ist ärgerlich, aber keins mehr zu haben, wäre schon eine Katastrophe.« Er wandte sich wieder zur Brüstung um und starrte in die Wüste. »In vierzehn Tagen oder so sollte ich fit genug sein, zum Persischen Golf zu reisen und ein Schiff nach Indien zurück zu nehmen.«
    Juliet schüttelte den Kopf. Sie wollte ihn nicht gehen lassen, bevor sie nicht wenigsten etwas der verlorenen Jahre wieder eingeholt hatten. »Es gibt keinen Grund zur Eile. Du kannst bleiben, solange du willst.« Sie piekte ihn zärtlich in die Rippen. »Ich würde dich gern ein bißchen mästen. Außerdem wartet Mutter in Konstantinopel darauf, daß Ross zurückkehrt. Sie hat geschworen, erst nach Hause zu reisen, wenn er gesund und munter wieder zurück ist. In dieser Jahreszeit brauchtest du nur ein paar Wochen, um dorthin zu kommen, und sie wäre überglücklich, dich zu sehen. Dein Überleben bestätigt schließlich auch ihre mütterliche Intuition, daß du nicht umgebracht wurdest.«
    »Tja, da waren ihre Instinkte tatsächlich einmal richtig.« Ian lächelte leicht, und das blasse Mondlicht erhellte sein Gesicht. »Ich würde sie ja auch gerne sehen, aber ich kann mir nicht soviel Zeit lassen. Vergiß nicht, ich bin
    Offizier und muß zu meinen Pflichten

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