Wilder als der Hass, süsser als die Liebe
sah sie sogar noch besser darin aus, da ihr geschmeidiger Körper ein paar Rundungen bekommen hatte. Tatsächlich wirkte sie so provozierend auf ihn, daß er sich fragte, ob sie sich extra so gekleidet hatte, um ihn zu reizen oder zu verführen. Und wenn eines davon zutreffen würde, so wußte er nicht, was er schlechter ertragen konnte.
Sie warf einen Blick zu ihm, und verwirrt erkannte er in den klaren Tiefen ihrer Augen eine kurze Unsicherheit aufflackern.
Mit siebzehn hatte Juliet nicht gewußt, welche intensive, verführerische Wirkung sie besaß, und Ross stellte überrascht fest, daß sie immer noch die gleiche Unschuld zu sein schien.
Was nicht stimmen konnte, wenn man den Graben an gebrochenen Männerherzen quer durch das mediterrane Europa in Betracht zog, den sie geschlagen hatte, bevor sie in Kleinasien verschwunden war. Die Gerüchte über ihr Benehmen waren so schmuddelig gewesen, daß er sie nicht geglaubt hätte, wenn er nicht einen unwiderlegbaren Beweis gehabt hätte. Nichtsdestoweniger sprach er ihre Absicht von jedem Versuch, ihn heute abend zu verführen, frei. Wenn das ihr Ziel gewesen wäre, dann hätte sie sich mehr Mühe gegeben. Statt dessen schien ihre Unsicherheit genauso groß wie seine zu sein.
Ohne etwas von seinen Gedanken zu ahnen, sagte sie nun: »Übrigens, deine beiden Diener sind hier. Sie haben in den Männerquartieren Platz gefunden.«
»Gut, das zu hören.« Darauf getrimmt, in jeder Situation höflich zu sein, zog er ihren Stuhl vom Tisch zurück. Nach einem kurzen Zögern setzte sich Juliet. Ihr seidiges Haar streifte dabei seinen Handrücken, und Ross zuckte zurück, als hätte er sich verbrannt. Um seine Fassung wiederzugewinnen, erkundigte er sich: »Wie lange lebst du schon hier?«
»Über neun Jahre. Nachdem ich . ..« - sie zögerte, entschloß sich dann, einen neutralen Ausdruck zu verwenden - »England verlassen hatte, bin ich zunächst durch die Mittelmeerländer gereist, dann ins Osmanische Reich. Wie du ja weißt, habe ich als Kind in Teheran gelebt, während mein Vater dort stationiert war. Ich wollte Persien wiedersehen, und so habe ich einige Zeit damit verbracht, durch das Land zu reiten. Ich war auf dem Weg zurück nach Konstantinopel, als ich Serevan entdeckte.«
Ross kostete die Suppe. Sie enthielt Joghurt, Reis und Minze und schmeckte köstlich. »War die Festung zu der Zeit noch eine Ruine?«
»Ja. Die östliche Grenze Persiens ist durch die ständigen Überfälle turkmenischer Banden schrecklich verarmt. Viele der Dorfbewohner wurden in Buchara als Sklaven verkauft, andere hatten sich einen sichereren Ort zum Leben gesucht.«
Er riß ein Stück von dem Fladenbrot ab und tauchte es in den hummus, eine Gemisch aus Kichererbsen und verschiedenen Gewürzen. »Serevan wirkt, als könnte es ernsthaften Attacken trotzen.«
»Jetzt ja, aber als ich hierherkam, waren die Mauern eingestürzt und der Hauptbrunnen vergiftet, so daß nur noch wenige Menschen hier lebten.« Juliet nippte an ihrem Glas und blickte abwesend in die Ferne. »Trotzdem habe ich mich in den Ort verliebt. Die Berge und die Wüste haben etwas Elementares, etwas Reines an sich. Saleh lebte hier im Dorf. Er ist Usbeke, ursprünglich aus Buchara.«
Das fesselte Ross' Aufmerksamkeit. Er würde mit Saleh sprechen, bevor er abreiste. Vielleicht konnte ihm der Mann aus Buchara einige nützliche Informationen geben.
Er fragte sich insgeheim auch, ob der Usbeke möglicherweise Juliets Liebhaber war - er war zwar alt genug, um ihr Vater sein zu können, aber das besagte nichts. Er zwang sich, an ein anderes Thema zu denken. »Und da du Lady Hester Stanhope immer schon bewundert hast, hast du beschlossen, es ihr nachzutun und hier dein eigenes, kleines Königreich aufzubauen?«
»Ich nehme an, man könnte es so auffassen.« Juliet stand auf und räumte die leeren Schüsseln weg. Dann stellte sie eine Platte mit gebratenem Lamm auf den Tisch, das mit einem Rand aus Reis, gemischt mit Nüssen und Trockenfrüchten, umgeben war. »Ich war es leid, ständig zu reisen und wollte mich irgendwo niederlassen. Geld ist Macht, und meine jährlichen fünfzehnhundert Pfund reichten aus, um neue Brunnen zu bezahlen, die Festung wieder aufzubauen und Vieh und Samen zu kaufen. Als einmal klar war, daß sie hier sicher waren, kamen die Leute grüppchenweise zurück. Inzwischen haben wir eine ganz anständige Gemeinde. Die meisten sind Perser, aber wir haben auch Usbeken und Afghanen, sogar ein paar
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