Wilder als der Hass, süsser als die Liebe
angewöhnt, seine Waffe in Griffweite zu haben, wenn er sich niederlegte, denn man wußte ja nie. Dann legte er sich in die Mitte und überließ Juliet damit den Platz an der Wand.
Mit fast lautlosen Bewegungen rollte Juliet sich in ihre Decke und rückte so weit wie möglich von ihm ab. Doch auch wenn Ross ihr den Rücken zuwandte, so war sie sich seiner Nähe doch heftig und fast schmerzhaft bewußt.
Schon die Nacht zuvor, als er wußte, daß sie unter demselben Dach schlief, war es schwer genug gewesen. Sie jetzt nur Zentimeter von sich entfernt zu wissen, war praktisch unerträglich. Jedes Geräusch,' das sie machte, vom leisen Rascheln ihres Gewandes bis zu der fast unhörbaren Atmung, schrammte an seinem gespannten Nervensystem wie ein schartiges Messer.
Aber Ross würde es ertragen, weil er mußte. Er war in Pflichterfüllung immer hervorragend gewesen und konnte das Unvermeidliche akzeptieren.
Und so machte er sich daran, mit Techniken, die er in einem buddhistischen Kloster in Indien gelernt hatte, seinen unsteten Geist zu beruhigen. Muskel für Muskel entspannte er sich und verlangsamte gleichzeitig die Atmung. Er zwang sich, sich auf die Luft zu konzentrieren, die in seine Lungen strömte und stieß sie dann langsam wieder aus. Ein - aus. Ein - aus. Den Brustkorb dehnen, wieder zusammensinken lassen. Auch dies würde vorbeigehen. Neben ihm lag nicht seine nervenaufreibende, schöne, unendlich begehrenswerte Frau, sondern ein junger, unwirscher Targi namens Jalal...
Es wäre leichter gewesen, sich einzureden, daß Fische fliegen können.
Kapitel 9
In ihre Decke gegen die Wand gekuschelt, brauchte Juliet eine lange Zeit, um einzuschlafen. Sie hatte ohnehin immer einen leichten Schlaf und nun, da Ross nur wenige Zentimeter neben ihr lag, waren ihre Nerven gespannt wie eine Bogensehne. Endlich ergab sich ihr erschöpfter Körper der Müdigkeit, doch sie träumte von überstürzter Flucht und entsetzlichen Verlusten.
Irgendwann in der Nacht jedoch entspannte sie sich. Als sie in den dämmrigen, frühmorgendlichen Schlummer zwischen Wachen und Schlafen glitt, war sie gerade genug bei Bewußtsein, um ihren friedlichen Zustand zu bemerken. Es war so ein schönes, warmes Gefühl, daß es ihr widerstrebte, den Übergang zum richtigen Wachstadium einzugehen.
Obwohl es noch dunkel war, wußte sie, daß es gleich Zeit zum Aufstehen sein würde. Dennoch erlaubte sie sich, ihre halbbewußte Zufriedenheit zu genießen, denn sie wußte, die geringste Bewegung oder das kleinste Geräusch würde sie aus dem goldenen Nebel reißen. Ein sanftes, rhythmisches Pulsieren erfüllte ihren Dämmerzustand, wie das Gefühl eines Herzschlags .
Verfluchte Hölle! Schlagartig war sie hellwach und empfand so einen gründlichen Schock, daß sie sich zusammenreißen mußte, ihren Körper nicht mit aller Kraft zurückzureißen. Sie war eingehüllt in Ross' Umarmung! Er lag auf der Seite, hatte seine Arme locker um sie geschlungen, während ihr linker Arm über seiner Hüfte lag und sie ihr unverschleiertes Gesicht an seine breite Brust gepreßt hatte. Ihr linkes Bein hatte sie zwischen seine Schenkel geschoben.
Die Tatsache, daß sie beide in dicke Decken eingerollt waren, machte keinen Unterschied, denn der Effekt, den diese Nähe auf Juliets verwirrte Sinne hatte, hätte nicht heftiger sein können, wenn sie nackt gewesen wären. Jede Faser ihres Körpers vibrierte in einer Reaktion, die teils körperlich, teils irgend etwas anderes, Tiefergehendes und viel Verstörenderes war.
Zitternd stieß sie langsam den Atem aus, ängstlich, Ross aufzuwecken. Gott sei Dank schlief er immer sehr fest. Seine Atmung war tief und gleichmäßig, und er war sich offenbar nicht bewußt, daß sie sich während der Nacht wie die zwei entgegengesetzten Pole eines Magnets aufeinander zubewegt hatten. Sie hatten früher stets so ineinander verschlungen geschlafen, wobei sie sich immer harmonisch dem anderen anpaßten, so daß sie sich permanent berührten. In der Nacht, als ihr Verstand im Schlaf ausgeschaltet gewesen war, hatten ihre Körper instinktiv zu dem zurückgefunden, was vor zwölf Jahren so vollkommen normal gewesen war.
Man hätte darüber lachen können, wenn es nicht so übel gewesen wäre. Mit allergrößter Behutsamkeit zog Juliet sich aus Ross' Umarmung. Doch dann hielt sie einen Moment inne. Zum ersten Mal, seit sie sich wiedergetroffen hatten, konnte sie ihn in Ruhe betrachten.
Im schwachen Licht der aufkommenden Dämmerung
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