Wilder als der Hass, süsser als die Liebe
eingehüllt gewesen, was zu dieser Jahreszeit sehr ungewöhnlich war und ihren Aufbruch verzögert hatte.
Ross grinste. Himmel, die Kamele hatten den Schnee verabscheut und sich bitter-und brüllend beschwert, als sie zum Aufstehen gezwungen wurden, um die Tagesstrecke in Angriff zu nehmen. Aber schließlich beschwerten sich Kamele ja über alles. Mit schlechtem Gewissen klopfte er Julietta freundschaftlich auf den Hals, und sie wandte den Kopf und schenkte ihm einen wohlwollenden Blick. Ja, für ein Kamel war sie wirklich sehr gutmütig.
Ross blickte sich zu seinen Gefährten um, wie er es sich in gewissen Abständen zur Gewohnheit gemacht hatte. Er und Juliet hatten beide zwei Kamele unter Aufsicht, eines zum Reiten, das andere für das Gepäck. Da sie so langsam vorankamen, gingen oder ritten sie, wie immer ihnen der Sinn gerade stand.
Das fünfte Kamel war mit zwei großen Reitkörben ausgestattet. In einem saß Saleh, ausbalanciert von Murad, der in dem anderen reiste. Da keiner der beiden besonders erfahren im Kamelreiten war, hatte Ross es für klüger gehalten, sie zusammen auf eines zu setzen. Wenn das Tier bockte und einer der beiden nicht mehr in der Lage sein sollte, es im Griff zu halten, hatte der andere vielleicht mehr Erfolg. Doch bisher hatte die gelehrige Stute, die sie trug, keinen Ärger gemacht.
Als nächstes suchte Ross nach Juliet, die sich etwa hundert Meter vor ihm befand. Sie marschierte wie ein Wüstenprinz dahin, während ihre langen, dunklen Gewänder sanft um sie herum schwangen. Sie spielte die Rolle des Jalal perfekt; und außer einem usbekischen Kameltreiber, der sie gelegentlich piesacken wollte, zeigte niemand mehr als milde Neugier für den schweigsamen Targi. Auf jeden Fall schien niemand den Verdacht zu haben, daß sie weiblich oder europäisch sein könnte. Juliet hatte sich zudem als überraschend guter Diener erwiesen, und Ross nahm an, daß ein Hauch von spöttischem Humor in ihrer Ergebenheit lag, als wollte sie ihm zeigen, daß sie gehorchen konnte, falls es nötig war.
Sein Blick blieb nachdenklich an seiner Frau hängen. Keine Frage, daß das Interessanteste, was bisher geschehen war, in der Nacht in der Karawanserei passiert war. Er hatte gelernt, nicht allzu tief zu schlafen, wenn er durch gefährliche Länder reiste, und ihre zögernde Berührung an seiner Schulter hatte ihn augenblicklich aufgeweckt. Zu seinem Vergnügen hatte er keine Gefahr vorgefunden, sondern Juliet, die zu ihm herübergerutscht war und ihre Arme um seinen Hals gelegt hatte. Als er sich zu ihr umgedreht hatte, hatte sie ihren schlafenden Körper an ihn gekuschelt und zufrieden geseufzt, was in ihm schmerzvoll schöne Erinnerungen geweckt hatte.
Sich wieder entspannend, hatte Ross sie in seine Arme gezogen und sich erlaubt, so zu tun, als ob die letzten zwölf Jahre nur ein schlechter Traum gewesen waren. Er hatte sich gesträubt, wieder einzuschlafen, denn ihre Nähe war ein unerwartetes Geschenk, und er wollte es so lange genießen wie möglich.
Während der wunderbar dämmrigen Stunden, die folgten, hatte er sein Bestes gegeben, sein Verlangen zu unterdrücken, war allerdings nicht besonders erfolgreich gewesen. Seine Gedanken waren darum gekreist, was wohl geschehen würde, wenn er sie küßte . . . ihre Brüste liebkoste . .. oder sie noch intimer berührte. Wie würde sie reagieren, und wie lange würde es gutgehen, bevor sie erwachte? Natürlich hatte er es nicht getestet - er wäre ein Narr gewesen, wegzuwerfen, was er gratis bekam, weil er mehr haben wollte.
Als Juliet schließlich aufgewacht war, war sie in seinen Armen regelrecht erstarrt, und ihre entsetzte Reaktion hatte ihm bewiesen, daß es klüger war, sich schlafen zu stellen. Ihr sanfter, fast liebevoller Kuß hatte ihn fast hochfahren lassen, doch es war ihm gelungen, sie zu überzeugen, daß er schlief wie ein Toter. Bedauerlicherweise hatte die Episode sich nicht wiederholt; in jeder der folgenden Nächte hatte Juliet erfolgreich dafür gesorgt, möglichst dicht an Saleh und weit weg von ihm zu schlafen. Ross fragte sich, was der kleine Zwischenfall zu bedeuten hatte . . . wenn überhaupt etwas. Vielleicht vermißte sie bloß einen Liebhaber aus Serevan und hatte sich ihm zugewandt, weil er einen warmen männlichen Körper hatte. Dieser Gedanke allerdings schmeckte ihm gar nicht. Vielleicht war ihr Verhalten ja auch ein weiteres Zeichen dafür, daß das Band der Ehe sich nicht so leicht lösen ließ. Tja, es war
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